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Interview: Dr. Eva Voß – “Diversity Management: Was versteht man unter einem ‘Unconscious Bias’?”

Beitrag von: Dr. Eva Voß

Unternehmen: Ernst & Young

CM: Frau Dr. Voß, was ist Diversity Management? Was versteht man unter einem “Unconscious Bias”?

Dr. Eva Voß:
Diversity ist der englische Begriff für Vielfalt, worunter sowohl sichtbare Merkmale wie Geschlecht, Alter oder Hautfarbe fallen, aber auch nicht-sichtbare Facetten wie Berufserfahrung, sexuelle Identität, Familienstand, Religion, aber auch Arbeitsstil, Humor und so weiter. Diversity ist also eine Mischung aus unterschiedlichen Merkmalen, die eine Person letztlich einzigartig macht. Das Thema ist also komplex, und gutes Management dieser Vielfalt ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Zusammenarbeit heterogener Menschen in einem Team funktioniert.

Wenn man sich diese menschliche Vielfalt einmal bildlich als Eisberg vorstellt, dann sehen wir tatsächlich nur etwa 10% dieser Merkmale beim Gegenüber – 90% der Eigenschaften liegen quasi unter der Wasseroberfläche. All diese Facetten könnte unser Gehirn ohnehin nicht verarbeiten, weshalb es sich mit vereinfachten Strukturen, Mustern und Interpretationen von Eindrücken behilft. Eine Art Autovervollständigung von Informationen sozusagen. Wir entscheiden beispielsweis beim ersten Treffen eines uns unbekannten Menschen in Sekundenschnelle, ob wir die Person sympathisch finden, kompetent oder ob wir ihr vertrauen. Das ganze läuft komplett unbewusst, also “unconscious” ab. Das Problem entsteht dann, wenn wir aufgrund einer einzigen gemachten Erfahrung Verallgemeinerungen vornehmen, auch wenn in dieser konkreten Situation ganz andere beobachtbare Informationen vorlägen oder rechtfertigende Schlüsse hätten gezogen werden können.

CM: Welche Auswirkungen haben diese unbewussten Wahrnehmungsmuster und Vorannahmen auf Personen – respektive Unternehmen? Was gibt es zu tun?

Dr. Eva Voß:
Es ist grundsätzlich sinnvoll, dass wir Vorannahmen über Menschen treffen oder diese mit Assoziationen in gewissen Situationen verbinden, weil uns diese Vereinfachung der Informationsverarbeitung hilft, im Alltag zurecht zu kommen. Schwierig wird es nur, wenn die Muster zu Stereotypen werden, wir also beispielsweise Personen ablehnen, weil sie “anders” sind als das, was uns bekannt vorkommt – und eben nicht in eine vorgefertigte Schublade passt. Wenn beispielsweise ein Philosoph in die Beratung geht, wo es außer ihm nur BWLer gibt, dann können unbewusste Vorannahmen dazu führen, dass dieser Kandidat erst einmal abgelehnt wird, eben weil er nicht dem typischen Muster eines Beraters entsprechen mag.

Diese Exklusion des Anderen erleben wir auch, wenn es etwa um das Thema Frauen in Führungspositionen geht. Da werden dann schnell Stereotype wirksam, wie “Frauen haben nicht genug Biss oder Karriereambitionen”. Möglicherweise kennt der betreffende Personaler eine Frau, auf die das zutrifft, übertragen wird diese Annahme aber auf eine ganze Gruppe, nämlich alle Frauen.

Die Ablehnung – auch von hochqualifizierten Kandidatinnen aufgrund vorgefertigter Muster – hat also viel mit Wahrnehmung zu tun. Und Wahrnehmung wiederum speist sich aus unserem ganz individuellen Referenzrahmen, der auf Erfahrungen, Erziehung und Werten beruht.

Genau diesen Referenzrahmen konsequent zu reflektieren und zu hinterfragen ist entscheidend. So kann dasselbe beobachtbare Verhalten – eine Kandidatin ist beispielsweise im Vorstellungsgespräch zurückhaltend – von zwei Recruitern aufgrund ihrer jeweiligen Wahrnehmungsmuster unterschiedlich bewertet werden. So legt Recruiter 1 die Zurückhaltung der Kandidatin als Mangel an Durchsetzungswillen aus, während Recruiter 2 die wenigen Rückfragen im Gespräch als sachverständig und kompetent erlebt. Während Recruiter 1 schlussfolgert, dass die Kandidatin nicht selbstbewusst ist und daher auch später beim Kunden keinen kompetenten Eindruck hinterlassen wird, geht Recruiter 2 davon aus, dass Zuhören eine Stärke ist, die der Kunde schätzen wird, weil sich die Kandidatin auf seine Bedürfnisse einstellen und sich selbst zurücknehmen kann. Je nach Sichtweise würde die Kandidatin also die Stelle als bekommen oder eben auch nicht.

CM: Welche Trends sehen Sie aktuell im Beratungsmarkt? Worauf müssen sich Beratungsbetriebe einstellen?

Dr. Eva Voß:
Aufgrund des demografischen Wandels verändert sich sukzessive die Zusammensetzung von Belegschaften in Unternehmen. Unterschiedliche Generationen, Menschen aus diversen Kulturkreisen und Nationen, mehr Frauen in Führung usw. sind die sichtbaren Zeichen dieser Veränderung. Vielfalt wird also die neue Normalität sein. Darauf müssen sich letztlich alle Beratungsunternehmen einstellen, wenn sie einerseits als Arbeitgeber attraktiv und andererseits für ihre Kunden gute Partner sein wollen.

Es geht also grundsätzlich darum, eine Kultur zu stärken, die offen und durchlässig für unterschiedliche Arbeitsstile und Lebensweisen ist. EY ist mit 190.000 Beschäftigten in 150 Ländern weltweit unterwegs, eine Organisation also, die naturgemäß ganz unterschiedliche Menschen, Kulturen und Talente beschäftigt. Wir verkaufen ja keine Produkte in dem Sinne, sondern das Know-how und die Expertise unserer Beschäftigten. Indem wir die vielfältigen Stärken und Talente unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zulassen, fördern und nutzen, können wir unseren ebenfalls vielfältigen Kundinnen und Kunden bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen immer besser gerecht werden.

Grundlage für eine solche Unternehmenskultur ist die transparente Überprüfung von Entscheidungsprozessen, ganz vorne dabei: das Recruiting-Verhalten. Darüber entscheidet sich ganz wesentlich die Zusammensetzung unserer Teams. So orientiert sich die Personalsuche bei EY nicht länger an einem neutralen Anforderungsprofil des “idealen” Bewerbers für eine Position. Stattdessen werden an Auswahltagen Kompetenzfelder abgeklopft, die in unterschiedlichen Situationen beobachtet werden können. Neben der Standardisierung des Auswahlverfahrens insgesamt, haben wir in Deutschland und der Schweiz etwa 300 Mitarbeiter/innen und Führungskräfte, die in das Recruiting involviert sind, geschult, um die Wirkung der unbewussten Wahrnehmungsmuster abzuschwächen. Denn: Wenn unterschiedliche Leute auf dieselbe Person sehen, neutralisiert das die persönliche – unbewusst eingefärbte – Brille.

Um eine wirklich vielfältig zusammengesetzte Belegschaft zu erhalten, haben wir auch unsere Headhunter und Personalberater für die D&I Anforderungen sensibilisiert. EY hat mit diesen Dienstleistern vereinbart, gezielt internationale und weibliche Führungskräfte anzusprechen. Für unsere Highest Performing Teams ist Vielfalt entscheidend. Wir suchen daher nicht nur Mitarbeiter/innen, die zu uns passen, sondern vor allem solche, die uns ergänzen. Und das ist für jede Position ein anderer Mix aus Erfahrungen, Kompetenzen und Arbeitsstil.

CM: Frau Dr. Voß, vielen Dank für Ihre Zeit und die gewonnenen Einblicke.

Wir wünschen Ihren Klienten und Ihnen alles Gute und nachhaltigen Erfolg!

 


Zur Person
Dr. Eva Voß studierte an den Universitäten Freiburg und Brest Politikwissenschaft, Geschichte und Gender Studies und wurde an der Universität Freiburg im Fach Politikwissenschaft promoviert. Sie wirkte dort anschließend mehrere Jahre als Leiterin der Stabsstelle Gender and Diversity und wechselte danach zur Bertelsmann SE, wo sie als Director Diversity Management arbeitete. Seit 2014 ist sie als Managerin Diversity & Inclusiveness verantwortlich für die Region Deutschland, Schweiz und Österreich bei EY (Ernst & Young).

Zum Unternehmen:
EY ist einer der internationalen Marktführer in der Wirtschaftsprüfung, Steuer-, Transaktions-, sowie Risiko- und Managementberatung. EY – dahinter stehen die Vielfalt und Fähigkeiten von 190.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an 700 Standorten in 150 Ländern. EY Karriere: http://www.ey.com/DE/de/Careers

(Quelle: Dr. Eva Voß)

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