“Die Kosten werden steigen”, ist eine Aussage, die in Chefetagen gar nicht gern gehört wird. Nur noch übertroffen bei besorgten Analysten und Portfoliomanagern im Finanzsektor. Aber bei Letzteren ist das noch nicht angekommen. Daher ist hier erst einmal keine Besorgnis angebracht, zumal das auch die sind, die die Immobilienkrise nicht voraussahen. Oder sie nicht sehen wollten. Wie beim demographischen Wandel.
Doch in den Chefetagen ist die Kostenwarnung schon angekommen, die der demographische Wandel wie eine Kriegsfahne vor sich herträgt. “Billiger geht immer”, ist ein Motto, das die Verteidigung des HRM nicht überleben wird, denn die Kosten werden in mehreren Bereichen gleichzeitig steigen und daher nicht mehr mit so schönen einfachen Sofortlösungen zu stoppen sein, die auf dem Gedanken fußen, dass der Personalmarkt eine eher unendliche Ressource darstellt. Denn er ist es nicht mehr und daher ist viel zu tun – doch man will es noch nicht wahrhaben. Erst unlängst hat “Die Welt” einen Beitrag von Andre Tauber dazu gebracht, der in der Jahresabschlusshektik unterzugehen droht. Doch er beschreibt das sich abzeichnende Desaster… [1]
“In 10 Jahren werden 50% aller Beschäftigten über 50 Jahre alt sein”, ist ein Satz, der sich zunächst einmal entspannt liest, doch er hat das Potential dem HRM Schweißperlen ins Gesicht zu treiben, je näher sein Unternehmen an der Produktion beteiligt ist. Oder anders ausgedrückt: je weiter es von reiner Verwaltung weg ist. Und als (ehemaliger!) Exportweltmeister sind das in Deutschland doch einige Unternehmen. Und da zeigen sich jetzt fünf Kostendimensionen auf:
Kostendimensionen in der Future Work
1.) Personalkosten
Da der Personalmarkt bisher vom Überfluss des Angebotes profitieren konnte, der in den letzten Jahrzehnten immer wieder auf außergewöhnliche Faktoren, den demographischen Wandel ignorierend, zurückgreifen konnte, sind hier die ersten Anzeichen einer Verknappung zu spüren [2]. Die Verteuerung im Recruiting, durch immer größere Aufwände bei der Suche und den damit auch steigenden Zeiträumen für hochqualifizierte Fachkräfte, lassen die bisher gewohnte “Flexibilität” und “Auswahl” bei Anstellungen und Nachbesetzungen sinken. Und beim Thema Nachbesetzung kommt eine Spielart hinzu, die bisher vernachlässigt wurde: das Empoyer Branding (altdeutsch: Mitarbeiterbindung…).
Und auch hier tun sich zwei Dimensionen auf: Mitarbeiterbindung kostet Geld und selbst wenn es erfolgreich ist, muss es erfolgreicher sein, als die bezahlten Raubzüge anderer im eigenen Unternehmen. Und auch hier steigen die Kosten. Wo Headhunter noch bis vor ein paar Jahren mit 10-15 Prozent eines Zielgehaltes zufrieden waren sind es jetzt schon bis zu 30 Prozent. Und das in einem Marktumfeld, wo der demographische Wandel erst allererste Anzeichen von Verknappung zeigt. Die Frage, wie das wohl in ein paar Jahren aussieht, wird gerne verdrängt.
Dann sind da die Kosten für Weiterbildung, die bisher gerne versprochen wurde, aber oft eine vernachlässigte Größe darstellt, wenn man sie mit Produktivität matcht. Oder anders ausgedrückt: Der Mitarbeiter bekommt sie, solange der Job nicht darunter leidet und / oder die Zeiträume so knapp wie möglich sind, was dann oft die Qualität auf das Zertifikat an sich begrenzt, das dann in der Personalakte vorgehalten wird. Doch gerade diese Kosten tendieren zu explodieren. Einmal durch die seit über zehn Jahren andauernde Tendenz, Berufe fachlich zu zerstückeln, um die Ausbildungszeiten zu reduzieren, was sich nun auf mangelnde redundante Besetzungsqualifikationen bei jungen Mitarbeitern auswirkt, die alte nicht ersetzen können (werden) und dann auch auf die Notwendigkeit, Mitarbeiter bis zum 67. Lebensjahr beschäftigen zu müssen, soweit sie dann 45 beitragspflichtige Jahre zusammenhaben… Und da nicht alle Rollen altersgerecht sind, müssen organisatorische und prozessuale Anpassungen in den allermeisten Unternehmen gestemmt werden. Dazu später.
2.) Produktivitätskosten
Produktivität ist nicht nur ein frommer Wunsch kapitalistischen Ursprungs, sondern in einer globalisierten Wirtschaft gerade für die alten Industrieländer zwingend erforderlich, um die hier wesentlich höheren Lohnkosten stemmen zu können. Bessere Qualität und technische Innovation sind hier nur zwei Gesichtspunkte, die ständig am Weltmarkt verteidigt werden müssen. Gehalten werden müssen.
Doch diese Produktivität gründet sich technisch, personell, wie auch von der Qualifikation der Mitarbeiter her auf Belegschaften, die bis zu einem gewissen Grad austauschbar waren. Zu gut deutsch: ersetzbar im Falle unzureichender Produktivität. (neudeutsch: Performance…).
Doch eben diese Austauschbarkeit wird zwangsläufig mit dem sich verknappenden Angebot, wie auch mit den fachlich immer enger gefassten Ausbildungsgängen der jüngeren Jahrgänge, zunehmend schwieriger zu gestalten sein. Produktivität wird in Zukunft davon abhängen, seine Mitarbeiter redundanter einsetzten zu können. Das setzt altersgerechte Rollen(-strukturen) wie auch kontinuierliche, langfristig geplante Weiterbildungen und Nachbesetzungspläne voraus.
In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Weiterbildung und der Mitarbeiterbindung und der damit verbundenen Aufwände einerseits deutlich, wie auch das Bestreben dann derer, die die Entwicklung verpennt haben, sich anderswo zu bedienen, bis eigene Future Work Strukturen stehen. Das erklärt schon jetzt die drastisch steigenden Headhunterkosten für spezielle Fachkräfte mit Schlüsselqualifikation, die in den letzten Jahren nicht im ausreichenden Maße aus- und weitergebildet wurden.
3.) Organisations- und Prozesskosten
Future Work setzt also altersgerechte Strukturen voraus, die mitarbeiterbezogen so angelegt sind, dass die Rollen bis ins “hohe Alter” hin machbar sind. Das wird keine durchgängigen Berufsbilder mehr möglich machen, da die physischen wie auch psychischen Verschleißgrenzen mitunter früher erreicht werden, als vom Gesetzgeber (an-)gedacht. Das verwundert nicht, da unsere Legislative in wettergeschützten und klimatisierten Wohlfühlumgebungen tagt, die mit der industriellen Wirklichkeit einer Produktion oder eines Handwerks nur schwer korrespondieren.
Letztlich ist es aber eine Frage, wie Unternehmen – gerade in Randlagen – ihre Produktivität oder gar ihr wirtschaftliches Überleben sicherstellen können. Und das wird umfassende, ganzheitliche und rechtzeitige Umorganisation der Kernleistungserstellung nötig machen. Und das gilt nicht nur bei der Produktion von Gütern, sondern zunehmend auch für Services (Telekommunikation, Verwaltung, Softwaresupport,…), die zum Teil sehr workflow-lastig und damit stressig sind, was vielerorts altersgerechtes Arbeiten als momentane(!) Utopie erscheinen lässt.
Das Umdenken wird hier insgesamt vom bekannten Dreiklang “das haben wir schon immer so gemacht”, “da könnte ja jeder kommen…” und “DAS GEHT NICHT!” begleitet werden. Zumindest bis zu dem Tag, wo es eben doch gehen muss. Diesen Tag vorzubereiten, ist ein Orga-Projekt, das mit Sicherheit nicht innerhalb eines halben Jahres und nebenher zu stemmen ist. Zumindest nicht erfolgreich…
4.) Gesundheitskosten
Diese werden gerne verdrängt. Doch Arbeiten ins hohe Alter hinein wird zusätzliche Gesundheitsaufwendungen zur Folge haben, die hier nicht weiter verfolgt werden sollen. Doch ist es klar, dass ältere Menschen jenseits oder an der Grenze ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vermutlich häufiger krank sein werden. Diese Ausfälle werden natürlich wieder zu Lasten der Produktivität gehen. So wird der demographische Wandel in vielen Unternehmen auch zu einer Frage des Unternehmensmodels an sich werden.
5.) Kommunikationskosten
Die Darstellung des Unternehmens nach außen wird mediengerecht sein müssen. Nicht nach dem Empfinden des Unternehmens, sondern nach den Wünschen des Bewerbermarktes. Die Kommunikation und damit auch die Darstellung der Marke des Unternehmens als Anbieter von Produkten und Leistungen, wie auch als Arbeitgeber, laufen nicht mehr separat voneinander. Die Wahrnehmung verschwimmt und wird als Union wahrgenommen.
Damit bekommt die Corporate Identity mit ihren Bestandteilen einen anderen Stellenwert, da sie nicht nur mehr als Vertriebs- und Marketinginstrument funktionieren muss, sondern auch als Mittel des Personalmarketings nach außen und des Employer Brandings nach innen. Ganzheitlich und ohne Brüche in der Außenwahrnehmung. Und hier sind die Social Media das (ver-)bindende Element des HRM mit dem Personalmarkt. Zumindest des direkten Personalmarktes. Wer das als Unternehmen nicht beherrscht, wird dauerhaft auf zunehmend kostenintensive Vermittlerdienstleistungen angewiesen sein. Andererseits wird der Aufbau einer eigenen, anforderungsgerechten Social-Media-Kompetenz auch Geld kosten [3].
Ein weiterer Aspekt ist der mögliche Schaden für den Absatz, der durch Fehler im Umgang mit Interessenten, Bewerbern und Kandidaten entsteht. Diese trennen zufolge neuster Untersuchungen nicht mehr zwischen Arbeitgebermarke und Unternehmensmarke! Ergo leidet, zum Beispiel bei schlechten Prozessen im Recruiting, nicht mehr nur das Image als Arbeitgeber, sondern auch das teuer gestaltete Markenimage und damit ggf. der Absatzerfolg an sich. So laufen neben zusätzlichen Personalgewinnungs- und Marketingkosten auch noch mögliche Umsatzrückgänge auf [4].
Zu diesen Kostendimensionen kommen regionalspezifische Standortkosten, die gerne übersehen werden. Es gibt nicht nur Boomregionen, sondern auch Randlagen. Damit wird es Gewinner des demographischen Wandels, wie auch Verlierer geben. Und die Verlierer werden auch nicht unbedingt von ausländischen Fachkräften und Migrationsbewegungen profitieren können, da diese mit absoluter Masse eher schon bestehende Boomregionen bevorzugen. Allein schon wegen den kulturellen Zugangsbarrieren die in ländlichen Randlagen mitunter deutlich höher ausfallen, als in Ballungszentren. Mitunter sogar als Gefahr oder Bedrohung der eigenen wirtschaftlichen Existenz wahrgenommen werden [5].
Fazit:
Allein schon die gegenseitige Abhängigkeit von Personal-, Organisations-, Prozess-, Kommunikations- und Gesundheitskosten sowie Produktivitätserhalt und Standortvorzüge machen deutlich, wie unwahrscheinlich in einer globalisierten Wirtschaft und der daraus zwingend erforderlichen Wettbewerbsfähigkeit einfache und kurzfristig greifende Lösungen in der Future Work werden.
Auch ist die strategische Planungsperspektive von maximal fünf Jahren in Unternehmen nicht geeignet, schon jetzt erforderliche Weichenstellungen rechtzeitig vornehmen zu können. Wenn man sich die durch Smartphones und Tabletts ausgelösten geänderten Vertriebsbedingungen der letzten zwei Jahre anschaut, wird deutlich, wie schnell eine (hier technisch determinierte) Entwicklung durch Innovation Unternehmensstrategien nachhaltig beeinflussen kann.
Der demographische Wandel wird die Wirtschaft treffen. Er ist keine unvorhergesehene Innovation, sondern eine schon lange sichtbare Entwicklung. Und Deutschland, mit seinem kriegsbedingten demographischen Knick, wird sie nachhaltiger treffen als sonst ein Land in der westlichen Welt. Diesen Effekt verzerrende und einmalige Einflussgrößen, wie die Wiedervereinigung und der Abbau des militärisch-industriellen Komplexes auf dem Höhepunkt des Marktzugangs der geburtenstarken Jahrgänge, werden sich nicht wiederholen. Im Gegenteil: diese Effekte kommen jetzt “on the top” hinzu und verschärfen die Auswirkungen.
Future Work ist ein also ein nun wahrgewordener Megatrend, den Naisbitt ebenso wie den Begriff “Globalisierung” vorausgesehen hat [6]. Doch unseren prozessoptimierten Abläufen, globalisierten Leistungsverpflechtungen, produktivitätslastigen Sachzwängen und damit auch dem Zwang das Personal billig zu bekommen, billig zu beschäftigen und weiterzubilden und es dann rechtzeitig mit Erreichen der individuellen Leistungsgrenze noch billiger zu ersetzen, ist nun eine zeitliche Grenze gesetzt, die ein Umstand diktiert, der nicht schönzureden oder zu ignorieren ist: der demographische Wandel.
Und dieser wird in einen Zeitraum voll wirksam werden, wo staatliche Hilfen eben kaum noch zu erwarten sind, die Rentenkassen absolut leer sind, Pensionsversprechen ohne gemachte Rücklagen zu stemmen sind, der Kollaps des Gesundheitssystems droht UND vermutlich auch weiterhin europäische Forderungen an unser Staatswesen getragen werden.
Der Zusammenhang ist vielschichtig und nicht so einfach auf einem zweiseitigen Thesenpapier darzustellen, was die Argumentation schwer macht. Doch der Paradigmenwandel im HRM ist schon jetzt vollzogen. Man kämpft zunehmend und kostentreibend um knapper werdende Ressourcen in Konkurrenz zu anderen.
Future Work fasst diese Organisationsaufgabe fachlich zusammen, stellt Lösungen für zu stemmende Herausforderungen für die Arbeitswelt der Zukunft parat, um den demographischen Wandel produktivitätswahrend abzufedern [7]. Future Work ist aber auch ein volkswirtschaftliches und politisches Thema, das eine nicht zu unterschätzende Einflussgröße auf die innerbetrieblichen FW-Projekte haben wird. Doch das ist für die durch Unternehmen selbst zu gestaltende Kostendimensionen, wenn auch zu berücksichtigen, eher zweitrangig.
Nur eines kann man niemals zu keinem Preis der Welt kaufen: vergeudete Zeit!
Quellen:
[1] Vgl.: Andre Tauber: Deutsche Firmen taumeln ins Demografie-Desaster, DIE WELT vom 28.12.14
[2] Rauschenberger, Sascha (2014): “Demografischer Wandel und Future Work: Eine gesellschaftliche Herausforderung für den Arbeitsmarkt der Zukunft” (Conplore)
[3] Rauschenberger, Sascha (2014): “Future Work und Social Media: Die ‘digital native’ Generation Y und Z – Chance und Risiko” (Conplore)
[4] Rauschenberger, Sascha (2014): “Future Recruiting: Die Dimensionen des “War for Talents” in der Arbeitswelt der Zukunft” (Conplore)
[5] Rauschenberger, Sascha (2014): “Future Work und PEGIDA: Wenn der demographische Wandel zur Falle der Migrationsnotwendigkeit wird” (Conplore)
[6] Vgl.: John Naisbitt: Megatrends: Ten New Directions Transforming Our Lives
[7] Rauschenberger, Sascha (2014): “Future Work und Megatrends – Herausforderungen und Lösungsansätze für die Arbeitswelt der Zukunft: Ein Kompendium zum demographischen Wandel” (Windsor Verlag)