Kaum jemand von uns kann sich noch daran erinnern, dass im Jahr 2002 eine russische Tupolev 154 und ein Frachtflugzeug Boeing 757 über dem Bodensee zusammenstießen. Das von einer erfahrenen Crew gesteuerte Frachtflugzeug hatte allerneueste Technik an Bord. Dennoch kollidierte es mit der russischen Maschine. Ein Reporter fragte einen Mitarbeiter des Luftfahrtbundesamtes, der die Wrackteile absuchte:
“Wie konnte das Unglück nur geschehen? Eine Maschine mit modernsten Kontroll- und Navigationsinstrumenten und erfahrenen Piloten gerät in eine solche Katastrophe?”
Die Antwort: “Ja, manchmal sollten die Piloten auch aus dem Fenster schauen.”
Aus dem Blickwinkel: Kunde
Viele Qualitätsprogramme haben etwas von jenem Unglücksflug. Sie verfügen eigentlich über alles, was zur Qualitätssicherung gehört: vor allem neueste Verfahren und ein tüchtiges Management. Und doch endet alles oft in einem Desaster, weil die Aufmerksamkeit nur betriebsinternen Abläufen gilt und zu wenig den Wünschen der Kunden. Wo angesetzt werden muss, ist klar: Interne Qualitätsverbesserungen müssen mit den Anforderungen der Kunden enger verknüpft werden. So werden Manager genötigt, “mehr aus dem Fenster zu schauen” und das Gesehene zu den Daten auf ihrer “Instrumententafel” in Beziehung zu setzen.
Fast immer haben Qualitätsprogramme den Anspruch, kunden- und marktorientiert zu sein. Bei genauerer Betrachtung muss man jedoch feststellen, dass nur wenige Qualitätsprogramme sich wirklich um die Bedürfnisse der Kunden kümmern. Um diesen Missstand zu klären, ist der Blick auf jene Personen im Unternehmen zu richten, die maßgeblich am Qualitätsmanagement beteiligt sind. Das sind vor allem Ingenieure, Techniker, Betriebsleiter, Personalfachleute und Organisationsplaner. Wer hier fehlt, sind die, die über den engsten Kontakt zum Kunden verfügen:
Die Marketingverantwortlichen. Warum werden sie nicht stärker in die Qualitätssicherung einbezogen?
Zum einen ist es sicher richtig, dass Marketingabteilungen sich häufig nicht sehr für Qualitätsmanagement interessieren. Das hat damit zu tun, dass das enge Verhältnis zum Kunden traditionell als eigene Domäne betrachtet wird. Geht das Marketing davon aus, alles im Griff zu haben, dann wird es auch jede Bemühungen des Qualitätsmanagements um Kundennähe als unberechtigte Einmischung empfinden und zurückweisen. Es liegt jedoch nicht allein am Marketing, wenn es kaum in das Qualitätsmanagement einbezogen wird. Denn während diese Abteilung sich schon immer auf das Geschehen außerhalb des Unternehmens konzentriert, widmen sich die Betreiber der Qualitätsprogramme vorzugsweise den internen Prozessen. Die Verbindung zum Marketing ist dann nicht ohne weiteres herzustellen.
Kundenwünsche analysieren
Wie aber kann eine Organisation, die das Marketing nicht in die Qualitätsarbeit einbezieht, sicher sein, dass ihre internen Verbesserungen den Kunden überhaupt erreichen?
Es ist Aufgabe des Marketings, die Kundenbedürfnisse aufzuspüren und Maßnahmen zu entwickeln, um diese Anforderungen besser zu erfüllen als die Konkurrenz. Wird das Marketing bei der Planung von Verbesserungsmaßnahmen einbezogen, kann das zu internen Qualitätsverbesserungen führen, die Kunden Vorteile bringen und den Marktanteil vergrößern. In seiner Rolle als Sprachrohr des Käufers im Unternehmen wird das Marketing aber nach wie vor vom Qualitätsmanagement häufig ignoriert, sodass die Neugestaltung interner Abläufe ohne jeglichen Zusammenhang mit den Kundenwünschen erfolgt. Um Qualitätsprogramme und Kundeninteressen in Einklang zu bringen, gilt es, die Kundenwünsche zu ermitteln und zu bemessen, sowie die Kundeneinschätzungen und die Messwerte für die internen Prozesse miteinander zu verknüpfen.
Das Ermitteln und Messen von Kundenwünschen erfolgt in zwei Schritten. Zuerst muss gemessen werden, worauf es den Kunden ankommt. Das erfordert gewöhnlich Zielgruppenbestimmung, offene Interviews, Analyse von Beschwerden, Empfehlungen etc. Erst wenn die wichtigsten Kundenanforderungen ermittelt sind, kann die tatsächliche Qualität mit Hilfe einer Bewertungsskala gemessen werden. Häufig wird der Fehler gemacht, Kundenaussagen über die Qualität anhand von Kriterien so einzustufen, wie sie das Management für bedeutsam ansieht, ohne die Kunden direkt und mit ihren Worten sagen zu lassen, worauf es ihnen ankommt. Schnell werden dann Veränderungen angestrebt und vollzogen, die Antworten auf Fragen darstellen, für die sich der Kunde gar nicht interessiert.
Interne Prozesse optimieren
Nachdem die aus Kundensicht relevanten Qualitätsmerkmale ermittelt und gemessen sind, muss das Management diese Informationen für die Verbesserung interner Prozesse nutzen. Wenn alle Betriebsabläufe in erster Linie der Befriedigung von Kundenwünschen dienen, dann gibt die Qualität der Ergebnisse dieser Prozesse Aufschluss über das Ausmaß, in dem Kundenwünsche befriedigt werden. Dabei muss sich die Bewertung direkt auf Leistungen beziehen, die handhabbar sind.
Gelingt es dem Management, die internen Qualitätskriterien so zu verbessern, dass sie der tatsächlichen, vom Kunden wahrgenommenen Qualität entsprechen, dann sind Verbesserungen der tatsächlichen kundenrelevanten Qualitätsmerkmale planbar. Ein Qualitätsprogramm ist auch im Kontext mit der Rentabilität eines Unternehmens zu sehen. Daher muss in einem weiteren Schritt festgestellt werden, wie sich Qualität auf den Markterfolg auswirkt, ausgedrückt in Umsatz und Marktanteil.
Den Kunden sprechen lassen
Es gibt ein Szenario, das in zu vielen Unternehmen allzu häufig abläuft. Es werden Daten erhoben, um die Servicequalität und die Kundenzufriedenheit zu beurteilen. Schließlich will das Unternehmen wissen, wie der Eindruck bei den Kunden ist. Aber die Ergebnisse werden nicht systematisch und konsequent genutzt, um Veränderungen in Gang zu bringen. Die Folge: Die Untersuchungen bleiben auf die Führung des Unternehmens ohne Auswirkung. Wie ist das möglich? Die Fragen auf dem Fragebogen erscheinen dem Management oft irrelevant, da sie keinen Zusammenhang zu den betrieblichen Abläufen oder den Führungspflichten erkennen lassen. Wie sollten also die Fragen lauten? Wesentlich ist, dass es um Kundenprobleme geht, die von den Kunden selbst mit eigenen Worten artikuliert werden. Sie sollten nicht nach internen Qualitätskriterien formuliert sein, obwohl die von Kunden eingeholten Informationen später mit solchen internen Maßstäben zu verknüpfen sind.
Qualität der Einzelprozesse
Um Qualitätsmaßstäbe für das Management nutzbar zu machen, wird der gesamte Betriebsprozess in bestimmte Arbeitsabschnitte eingeteilt. Diese Vorgänge werden je nach Unternehmen variieren. Generell sollten sie so gewählt sein, dass sie sich bestimmten Abteilungen zuordnen lassen und deren Manager sich für die Ergebnisse zuständig fühlen können.
Die Gesamtqualität ergibt sich bekanntlich aus der Qualität der Einzelprozesse. Gelingt es, von jedem konkreten Kunden zu erfahren, wie er die Gesamtqualität und die Qualität jedes einzelnen Geschäftsprozesses beurteilt, dann werden mit Hilfe der internen Qualitätsmaßstäbe am Ende auch die Maßstäbe für die tatsächliche, vom Kunden wahrgenommene Gesamtqualität voraussagbar. Auch wenn die Anordnung der Kriterien nach Geschäftsprozessen für das Management sehr hilfreich ist, muss sorgfältig darauf geachtet werden, dass der Kunde selbst mit seinen eigenen Worten seine Wünsche formuliert. Solche Kundenanforderungen können am besten mit Hilfe von Suchverfahren, wie zum Beispiel Interviews in den Zielgruppen, Gespräche mit Verkaufsmitarbeitern und Analysen von Beschwerden, ermittelt werden.
Interne Qualitätsmessungen
Kunden drücken ihre Wünsche meistens nicht in einer Sprache aus, die auf Anhieb betriebsführungsgemäß ist.
Um den Kundenfeststellungen aber dennoch Relevanz für betriebliche Entscheidungen zu verleihen, müssen diese Aussagen auf die betrieblichen Prozesse bezogen werden, die das Management unmittelbar beeinflusst. Also muss jeder Kundenanforderung ein internes Bewertungskriterium zugeordnet werden, das dem Kundenwunsch so genau wie möglich gerecht wird. Solche präzisen internen Maßstäbe benötigt man, um zu erreichen, dass sich die Verbesserung eines internen Prozesses sowohl in einem besseren Ergebnis nach der internen Messlatte, als auch in einer höheren Zufriedenstellung der Kundenwünsche zeigt.
Am Ende sollte sich eine enge statistische Korrelation zwischen dem internen Qualitätsmaß und dem externem Grad an Kundenzufriedenheit ergeben. Interne Qualitätsmessungen kommen dem Management sehr gelegen, da sie sich auf Prozesse beziehen, in die es unmittelbar eingreifen kann. Diese Messungen werden gewöhnlich regelmäßiger vorgenommen als Kundenbefragungen, sodass ein unmittelbares Feedback möglich ist.
Viele Unternehmen arbeiten seit langem mit dem Mittel interner Qualitätsbeurteilung, berücksichtigen jedoch tatsächliche Qualitätsmerkmale wie die Kundenzufriedenheit erst seit kurzem. Stärker produktionsorientierte Betriebe verfügen zumeist über eine ganze Palette interner Messinstrumente und kümmern sich wahrscheinlich weniger um die kundenspezifischen Qualitätskriterien.
Kundenzufriedenheit mit internen Prozessen und Qualitätsmaßstäben zu verknüpfen, ist die eine Seite einer marketingorientierten Qualitätssicherung. Die andere Seite zeigt sich, wenn es um die Auswirkung auf das messbare Kundenverhalten geht. Wie wirkt sich höhere Qualität auf Umsatz und Marktanteil aus? Manche gehen dem Einfluss der Qualität auf Käufereinstellungen und Kaufabsichten nach, andere messen die Auswirkungen der Qualität auf die Kundentreue oder auf die Geschäftslage von Unternehmen.
Der Kunde entscheidet über Qualität
Markterfolg resultiert aus Kaufentscheidungen. Der Kunde ist oberster Richter über die Qualität. Er bestimmt aufgrund seiner Bedürfnisse, seiner Zufriedenheit und mit seinem Kaufverhalten über den Markterfolg. Und eben diese Aspekte haben Qualitätsmanager bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Gewiss lassen sich diese Aspekte in ihrer Bedeutung für Qualitätsverbesserungen nicht isoliert betrachten, sondern müssen in ihrer Verbindung mit den Geschäftsprozessen gesehen werden.
Von wirklichem Qualitätsmanagement kann nicht die Rede sein, solange der Kunde nicht zu 100 Prozent zufrieden ist. Das zu erreichen, ist unmöglich, ohne die von den Kunden selbst formulierten Anforderungen zu kennen. Daher muss der Qualitätsmanager das Marketing, welches in seiner Funktion dem Kunden am nächsten ist, einbinden und so Kundenbedürfnissen und -maßstäben intern Geltung verschaffen. Das Marketing muss sicherstellen, dass die verfügbaren Informationen über die Kunden strategisch genutzt werden, um die Qualität zu verbessern. Idealerweise sollte das interne Qualitätsmaß die Qualität der internen Geschäftsprozesse wiedergeben, die über die externe Qualität, also die Käuferzufriedenheit, entscheiden. Dazu können auch statistische Korrelationen beitragen. Es kommt jedoch nicht auf Statistik an, sondern auf die Entwicklung geeigneter interner Kriterien und Ziele, die mit denen der Käufer eng korrespondieren. Darüber weiß im Unternehmen am besten die Marketingabteilung Bescheid.
Noch sind sich allerdings Qualitätsmanager und Marketingleute vielfach fremd. Dabei müssen beide Seiten aufeinander zugehen und Brücken bauen, die die Kunden mit den internen Vorgängen im Unternehmen verbinden. Zusammen können sie die kundenrelevanten Qualitätskriterien bestimmen, die einem umfassenden Qualitätsmanagement zugrunde liegen müssen. Erst wenn sich beide Seiten dem Ziel Kundenzufriedenheit unterordnen, wird sich auch der Markterfolg einstellen. Manager und Qualitätsexperten müssen aus dem Fenster schauen und das, was sie dort sehen (Kundenwünsche und Verkaufszahlen) mit ihrer Instrumententafel (interne Qualitätsmaßstäbe) abgleichen.
Das ist der letzte Check, der einen sicheren Flug ins Ziel garantiert.