2014 las ich einen interessanten Artikel im Harvard Business Manager. Prof. Clayton Christensen [1] von der Harvard Business School sieht darin Berater vor harten Zeiten stehen. Christensens Analysen verdeutlichen, dass das klassische Geschäftsmodell vieler Unternehmensberater – auch oder vielleicht insbesondere jenes der Großberater – zunehmend durch Wandelfaktoren – auch Disruptionen genannt – bedroht ist und einen hohen “Reformbedarf” aufzuweisen scheint. Ich möchte in diesem Artikel meine Einschätzungen und Erfahrungen hinsichtlich einiger Trends und Zukunftsszenarien im Beratermarkt teilen und gemeinsam mit Ihnen praxisbezogen die Frage diskutieren:
“Wie wird und muss sich die Beratungsbranche in Zukunft verändern,
damit sie einen bestmöglichen Wertschöpfungsbeitrag leisten kann?”
Meist schenken wir unserem Beratungsalltag die meiste Aufmerksamkeit – manche werden sogar behaupten, sie wären in ihm gefangen. Umso wichtiger ist es, zeitweise den Blick über den Tellerrand zu wagen und etwas genauer hinzuschauen, welche Trends, Einflussfaktoren und Umweltveränderungen unser Beratungssystem beeinflussen. Warum? Weil wir gut vorbereitet und strategisch – das heißt zu einem gewissen Maß bewusst – die Zukunft unserer Branche gestalten wollen. Zum Guten. Zu den beobachtbaren Wandelfaktoren zählen u.a. die steigende Transparenz im Beratermarkt, das Auftreten von Metaconsultants (Mittlern), die Beauftragung von kostengünstigeren Spezialberatern anstelle hochbezahlter Top-Generalisten mit großer Marke, die Tendenz zum Knowhow-Insourcing statt -Outsourcing bis hin zum gezielten Einstellen von Ex-Topberatern im (ehemaligen) Kundenbetrieb. Hinzu entscheiden sich zunehmend viele, hochqualifizierte Bewerber für Karrieren abseits der Beratungsbranche. Mein Analysefokus liegt in diesem Artikel daher auf zwei Nachfragegruppen: den Beratungskunden (Nachfrage nach Beratung) und den potentiellen bzw. ehemaligen, sowie aktiven Mitarbeitern von Beratungsfirmen (Nachfrage nach Arbeit).
Wandelfaktor: Transparenz
Transparenz über Angebot und Nachfrage ist für das gelungene Matching von Beratern und Kundenunternehmen äußerst wichtig. Transparenz darf nicht mit Diskretion verwechselt werden. Diskretion darf nicht als Ausrede für mangelnde Transparenz fungieren. Eine digitale, medial-weit entwickelte Geschäftswelt sollte die Transparenz eigentlich erheblich zugunsten der Nachfrage erhöhen und auch den Beratungsunternehmen eine qualifiziertere, passende Nachfrage zuführen. Im Falle der Beratersuche sind die gängigen, nicht auf spezielle Zielgruppen fokussierten Suchmaschinen und Medien jedoch wenig oder nur bedingt hilfreich, wenn es um das Auffinden qualifizierter Berater oder ein qualifiziertes Berater-Klienten-Matching geht. Man könnte auch sagen, das Internet ist eine der größten Blackboxen unserer Zeit geworden – eine schwer beherrschbare Informationsflut, die nahezu unkontrolliert wächst, da jeder alles posten kann.
“Sind die 10 Topergebnisse bei Google tatsächlich die besten Berater für mein Geschäftsproblem oder sind sie nur besser als die anderen in SEO und SEM?”
Die daraus resultierende Intransparenz im Netz machen sich Metaconsultants zunutze, die systematisch Informationen über verschiedene Beratungsbetriebe sammeln. Doch will ein Beratungskunde immer erst zahlen, bis er erfährt, wer sein Problem lösen kann? Sind diese Mediatoren tatsächlich unabhängig? Wie verlässlich sind die Ratings der Metaberater? Wie funktioniert das Geschäftsmodell Metaconsulting en detail? Wer zahlt den Metaberater – Kunde oder Profiteur? Gleicht es dem provisionierten Vertrieb von Finanzprodukten oder Versicherungen, müssen wir vorsichtig sein und kritisch beleuchten.
Wie groß die Intransparenz und Unsicherheit der Nachfrageseite nach wie vor ist, zeigen gerade der Erfolg der Metaberater und die Tatsache, dass Empfehlungs- und Referenzmarketing hochrelevante Instrumente bei der Neukundengewinnung im Consulting sind. Vielleicht geben wir auch gerne die Schuld den Metaberatern, dem Testimonial oder Empfehlenden, wenn sich die Beraterwahl im Nachhinein als ungeeignet erweist und negativ zu Buche schlägt. Ist doch verführerisch, wenn man die Verantwortung abgeben kann, statt viel Arbeit mit genauer Anbieteranalyse im Vorfeld der Beratung zu haben.
Transparenz und gut aufbereitete, verlässliche Informationen sind also nach wie vor Mangelware im Beratungsmarkt. Letztendlich ist es daher mehr denn je die Aufgabe der Berater, ihr Wissen und ihre Verlässlichkeit glaubwürdig gegenüber den Ratsuchenden zu transportieren und durch eine offene Informationspolitik in Vorleistung gegenüber den potentiellen Kunden zu gehen und sich bekannt, transparent und erreichbar zu machen.
Wandelfaktor: Wettbewerb
Der Wettbewerb im Consultingmarkt findet nicht allein zwischen Beratern vergleichbarer Größenordnung statt, sondern auch zwischen Beratungshäusern unterschiedlicher Größenordnung sowie zwischen Beratern und internen Mitarbeitern der Kundenbetriebe. Dabei konnte man in den letzten Jahren beobachten, wie einige Großberater strategisch kleinere, stark wachsende Spezialberater akquirierten oder anschlossen und somit den neu entstandenen Wettbewerb zwischen “Groß und Klein” in Teilen wieder auf die Oligopolebene “Groß vs. Groß” verschoben haben. Diese Tendenz zur Knowhow-Monopolisierung ist aus Nachfragesicht bedenklich, da die Auswahl an potentiellen Beratern für gewisse Fragestellungen dadurch reduziert wird und somit auch die Verhandlungsmacht gegenüber den Anbietern.
Einen Ansatz, den die Nachfrageseite nutzen kann, um diese Abhängigkeit von externen Beratern zu reduzieren, ist die Schaffung attraktiver Positionen für Ex-Berater und Top-Experten, sowie von Inhouse-Consulting-Abteilungen. Dadurch wird also entweder auf den Kauf von externen Beratungsdienstleistungen verzichtet, oder der Einkauf erfolgt durch qualifizierte, beratungsbranchenerfahrene Einkäufer. Bei der Kalkulation von Projekten und Beraterhonoraren dürfen folglich nicht nur die Angebotspreise der anderen, externen Berater eine Rolle spielen, sondern auch die Gehaltsstrukturen im Kundenbetrieb. Für den potentiellen Beratungskunden gilt es z.B. abzuwägen, ob es sich eher lohnt, drei Monate lang ein Beraterteam (samt Rendite für deren Teilhaber) zu zahlen oder eine gewisse Anzahl an hochqualifizierten Angestellten (ggf. befristet) für einen mutmaßlich längeren Zeitraum ins Haus zu holen, um das Knowhow selbst zu generieren.
Wandelfaktor: Wissen
Wer weiß was am besten? Der Berater oder die Mitarbeiter des Kundenbetriebs?
Oder die Mitarbeiter der Wettbewerber?
Genau diese Frage ist hochgradig problemabhängig. Beratungsunternehmen sind auf der einen Seite ein Sammelbecken für Wissen und Benchmarks, auf der anderen Seite überdurchschnittlich “fluktuationsgeplagt”, wodurch ein großer Teil des “lebendigen Wissens” regelmäßig dem Beratungsbetrieb verloren geht und an anderer Stelle – nicht selten in potentiellen (ehemaligen) Kundenbetrieben – direkt zur Geltung kommt. Daher muss ein Teil des Wissens im Beratungshaus regelmäßig regeneriert, archiviert, weitergegeben, aktualisiert oder neu eingekauft werden. Wissensmanagement wird zur Kernaufgabe im Consultingbetrieb.
“Wann haben Sie die letzte Wissensbilanz erstellt?
Weiß die Geschäftsführung, was der Betrieb weiß? Wissen die Mitarbeiter was der Betrieb weiß? Wann, wie, wo hat das Wissen für wen, wie oft einen Wert?”
Bei bestimmten Problemstellungen weiß der Beratungskunde hinzu einfach mehr als sein Berater und er spürt dies. Fehlt es ihm aber an Zeit, Wissen oder z.B. Argumenten, kann es dennoch für ihn sinnvoll sein, einen Berater zu engagieren. Die Einarbeitung in die kundenspezifische Problemstellung führt bei dem Berater zu einem enormen Wissenszuwachs, von dem oft nur ein Teil an den Kunden weitergegeben werden kann. Grund: der Kunde kann zeitbedingt nicht den ganzen Erkenntnisprozess durchleben.
Beratungsunternehmen und Kundenbetriebe kämpfen zum Teil direkt um die besten Köpfe. – Kein Kundenbetrieb ist gerne abhängig von einem Berater. Die Entscheidung obliegt also zunehmend den Bewerbern, wem sie ihr Wissen verkaufen – einem Beratungshaus oder direkt dem Kundenbetrieb. Es handelt sich um einen Wettbewerb auf Augenhöhe, denn die Kundenbetriebe müssen zunächst ausreichend Einnahmen verdienen, um sie Beratern in Form von Budgets bereitzustellen – wenn ihnen das nicht gelingt, werden auch die Berater keine oder nur kleine Mandate erhalten. Einen Berater gibt es nur dann, wenn es einen Kunden gibt.
Cloudlösungen, Chat, Webinar?
Korrekt, die Organisation und das Teilen von Wissen werden unabhängig von Standorten und das spart Zeit und Kosten.
Wandelfaktor: Freiheit
Stellen Sie sich einmal die Frage, was Ratsuchende tatsächlich suchen. Dies ist in der Regel nicht ein Berater, sondern eine Antwort auf ein konkretes Geschäftsproblem. Wäre der Ratsuchende in der Lage, das Problem ohne einen Berater zu lösen, würde er diese Variante im Zweifelsfall bevorzugen – sprich, ein Beratungskunde wäre tendenziell gerne unabhängig von der Expertise eines externen Beraters. Das Unwissen, die Zeitknappheit oder die Unsicherheit zwingen ihn aber, nach einem Berater für sein Problem zu suchen und ihn zu beauftragen.
Lock-in-Effekte sind auch in der Beratungsbranche keine Seltenheit. Ist das Projekt erst einmal begonnen und beauftragt, kann es für Beratungskunden, die sich im Vorfeld des Vertragsabschlusses zu diesem Thema nicht ansatzweise abgesichert haben, zu hochgradigen Abhängigkeiten von einem Beratungsunternehmen kommen – insb. wenn es sich um sehr individuelle, langfristige, komplexe Beratungsleistungen handelt, die einen Anbieterwechsel erschweren oder aufgrund eines hohen, kostentechnischen Aufwands gar nicht zulassen (Budget nur einmal vorhanden).
“Kennen Sie das? Die Kaffee-Maschine war günstig, aber die Kapseln für den Betrieb sind teuer und andere Kapseln nutzen kann man nicht!”
Läuft das Beratungsprojekt reibungslos und gut, mag der Lock-in nicht als unangenehm empfunden werden. Läuft es schlecht, wird der Lock-in zur ernsten Herausforderung für Beratungskunden, aber je nach Qualifikation und Ausdauer des Kunden auch für den Berater. Hinterfragen sollten Beratungskunden schon vor Projektbeauftragung / Vertragsabschluss, ob und welche Abhängigkeiten vom Berater während der Umsetzung und nach Projektende entstehen können und ob Folgekosten absehbar sind, die gar nichts mit dem ursprünglichen Beratungsbudget gemein haben. Lock-in-Effekte betreffen aber nicht nur den Beratungskunden, sondern auch den Berater. Bindet der Berater sein Budget und seine Kapazität an einen oder wenige Kunden, oder geht er z.B. in der Hoffnung auf einen Zuschlag stark in Vorleistung, kann eine anbieterseitige Abhängigkeit vom Kunden entstehen. Den Auftakt einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sollte daher unbedingt eine beidseitig offene Informationspolitik vor Vertragsabschluss machen.
Wandelfaktor: Verantwortung
Haftung, Nachhaltigkeit, Teilhabe? Diese Begriffe werden zunehmend wichtiger im Beratungsmarkt, denn Kunden lassen die Berater äußerst ungern aus der Haftung und achten gezielt darauf, dass die erbrachte Beratungsleistung nachhaltig positiv, bzw. auch tatsächlich erfolgreich wirkt. Eine leistungsabhängige Honorarzahlung oder gar Teilhaberschaft – also der Schritt hin zu einer “abhängigen Beratung” mit echter Haftung und erfolgsorientierten Vergütung sind im Kommen. Für kleine Beratungshäuser stellt das Vorfinanzierungserfordernis ggf. eine entscheidende Markteintrittsbarriere dar.
Nachhaltigkeit, als oft inflationär gebrauchte Worthülse im Marketing, muss heute vertragsgesichert von Beratern unter Beweis gestellt werden. Kundenbetriebe fokussieren sich zunehmend darauf, dass eine Beratungsleistung tatsächlich eine wertschöpfende Investition und nicht ein Schubladenpapier ohne Nutzen ist. Vereinbart werden Ziele und Vergütungen, die an das nachweisbare, tatsächliche und nicht das potentielle Erreichen der Ziele gekoppelt sind.
Wandelfaktor: Zeit
Der Individualisierungsgrad determiniert in der Beratung maßgeblich den erforderlichen Zeitaufwand. Tendenziell trifft folgende Gleichung zu: Je höher die Individualität, desto höher der Einarbeitungs- und Bearbeitungsaufwand, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass es bereits Erfahrungen gibt, desto höher die Fehlerquote, desto höher der Zeitaufwand, desto höher der Preis.
“Standardisierung versus Individualisierung”
Gelingt es Beratern hingegen, eine Nachfrage zu bedienen, die Standardisierungen und routinierte Abwicklung erlaubt, können massive Zeit- und Budgetvorteile realisiert werden. Dies kann gleichermaßen ein qualitativeres Produkt, in schnellerer Zeit, zu günstigeren Kosten für den Kundenbetrieb bedeuten – wenn die im Beratungsbetrieb generierten Vorteile in Teilen an die Kunden weitergegeben werden.
“Passives Einkommen statt aktivem Einkommen –
das scheinbare Geheimnis der Erfolgreichen”
Recht populär in der Literatur der Erfolgstrainer und Erfolgscoaches ist zudem der Begriff des “passiven Einkommens” – das scheinbare Geheimnis hinter dem Geschäftserfolg vieler. Auch Berater können diesen Ansatz nutzen. Statt laufend, zeitintensiv und individuell den Beratungskunden aktiv zu informieren und zu beraten, können sie die Zeit auch einmal einsetzen, um standardisierte Produkte für eine große Kundengruppe zu entwerfen um dann, ohne großen weiteren Zeitaufwand, dieses Produkt wiederholt zu vermarkten und zu verkaufen. Daraus ergibt sich ein sogenanntes passives Einkommen. Das Grundprinzip lautet: einmal ein Produkt aufbauen (Zeit investieren), dann dieses Produkt nahezu zeitunabhängig vermarkten und wiederholt verkaufen.
Wandelfaktor: HR & Organisation
Organisation als strategisches Führungsinstrument wird gerade in mittelgroßen Beratungshäusern, in denen man aus frühen Entwicklungsstadien der Unternehmung noch gewohnt ist, alle Aufgaben vergleichsweise unproblematisch persönlich untereinander aufteilen und koordinieren zu können, zum Teil stiefmütterlich behandelt. Gerade in einem projektgetriebenen Geschäft wie der Consultingbranche kann dies zu fatalen Ineffizienzen führen.
“Wenn es nicht wieder gelingt, große, komplexe und global / nicht regional dislozierte Prozesse oder Portfolios ganzheitlich über das gesamte Unternehmen auch querschnittlich (Matrix) so steuern zu können, dass die Mitarbeiter besser berücksichtigt werden, dann werden wir zunehmend Wettbewerbsnachteile zu denen haben, die die Prozessorganisation schneller auf ihre Ursprünge zurückführen können.” (S. Rauschenberger et al., 2014) [2]
Wie aktuelle Analysen zum Thema “Future Work” von Sascha Rauschenberger, Managing Partner von Future Business Consulting, detailliert erläutern, steht das klassische Projektmanagement selbst vor einem großen Anpassungsbedarf in Richtung “Mensch und seine Stärken im Mittelpunkt” und hochgradig professionellem HRM – weg von tayloristischen Optimierungsansätzen des Prozessmanagements (“Mensch als Maschine”). Dabei spielen die Wertemuster junger und älterer Projektmanager, die Demografie im Betrieb und die Unternehmenskommunikation eine wichtige Rolle. Rauschenberger liefert hier interessante Lösungsansätze auch im Bereich des generationenübergreifenden Wissensmanagements (Quelle s.u.).
“Kleinen und mittelständischen Beratern bieten sich bessere Möglichkeiten zum Netzwerken und Kooperieren”
Unsere Welt bietet bessere Voraussetzungen denn je, dezentral verteilte Expertise zu bündeln und Kooperationen zwischen kleinen, freiberuflichen und mittelständischen Beratern aufzubauen, um so zumindest in gewissen Themenbereichen auf Augenhöhe mit großen Topberatern konkurrieren zu können, die letztlich nichts anderes sind als hervorragend gemanagte Wissens- und Expertennetzwerke. Technologisch stehen einer Kooperation heute kaum noch Barrieren im Weg. Eine Herausforderung ist es eher, die Bereitschaft der Einzelnen zur Kooperation zu aktivieren, wenn die Mehrwerte der Kooperation nicht kurzfristig und für jeden Beteiligten gleichermaßen entstehen. Um es noch klarer zu sagen, nicht jeder der kooperiert, profitiert sofort – nicht jedes Produkt der Kooperierenden ist gleichermaßen erfolgreich und gefragt. Dies kann schnell zum Unwillen und Unmut einzelner im Team führen und die Kooperation wird in Frage gestellt. Stellen Sie sich im Vorfeld selbst die Frage, ob Sie Projektvermittlung bieten oder erwarten, oder ob Sie gemeinsam mit anderen Beratern ein gemeinsames Produkt anbieten möchten, für das es eine konkrete Nachfrage gibt.
Wandelfaktor: Leben
Das Image und die Beliebtheit der Beratungshäuser bei Jobsuchenden sind gedämpft. Viele, die früher in einer Unternehmensberatung Karriere gemacht oder diese dort begonnen hätten, bevorzugen nun die direkte Mitarbeit als Angestellter in einem Kundenbetrieb, da sie dort die Arbeitsweise und Arbeitsbedingungen erwarten, die besser zu ihrem Lifestyle und den Wertmustern passen – Stichwort: gesunde Work-Life-Balance.
“Burnout ist out!”
Viele Menschen arbeiten leidenschaftlich gern, gehen in ihrer Arbeit auf und sind an einer steilen Karriere interessiert. Dennoch sinkt die Zahl jener, die bereit sind, ernste Gesundheitsprobleme durch übertriebene Anforderungen – fremde oder eigene – als Preis für einen höheren beruflichen und finanziellen Status zu zahlen. Wenn im Kopf die Nachricht “Diese Arbeit ist der Gegensatz von Leben und macht mich krank” immer wieder durchläuft, droht das ganze Potential, das jene Person in sich trägt und ihre ganze Motivation schlagartig durch Krankheit für einen langen Zeitraum zu erlöschen. Die mediale Aufbereitung des Themas Burnout ist in einigen Ländern Europas bereits erfolgt, in vielen Schwellenländern nach wie vor aber ein Tabuthema. Die junge, gebildete Generation in wohlfahrtsorientierten Industrienationen geht mit dem Thema präventiver um, was einige Arbeitgeber zum Umdenken zwingt. Betriebliches Gesundheitsmanagement wird zum Erfolgsfaktor vor allem in Anbetracht der demografischen Strukturen und des Fachkräftemangels.
Eine Vision wäre es, den Widerspruch von “Arbeit” und “Leben” in Teilen oder gänzlich aufzulösen – also einen “Lebensraum Arbeitsplatz” zu schaffen. Google beispielsweise liefert hier mit attraktiven Bedingungen und Freizeitangeboten am Arbeitsplatz, sowie Selbstorganisationsformen einige Ansätze, wie es dies realisiert werden kann.
Wandelfaktor: Marketing & neue Technologien
Wie bereits angedeutet, gibt es bei der Produktpolitik einiger Consultants eine Tendenz hin zu standardisierten Produkten und Problemlösungen, weg von hochgradig individuellen, regelmäßig personalintensiven Dienstleistungen. Ein Beispiel: Bei der Geschäftsentwicklung von Conplore holte ich Angebote mehrerer auf Markenrecht spezialisierter Rechtsanwälte ein. Ein völlig intransparentes Angebot ohne Kostendeckel und Leistungsgarantie erreichte mich als erstes. Meinen späteren Zuschlag erhielt ein klar bepreistes, standardisiertes Leistungspaket mit kostenloser telefonischer Erstberatung im Vorfeld des Vertragsabschlusses, das ich schon auf der Homepage der Kanzlei detailliert beschrieben fand.
“Von Beratern entwickelte Produkte statt Beratungsdienstleistung?
Wird der Berater zum Produktentwickler / Lösungsanbieter?”
Einige Berater haben bereits systematisch einige standardisierte Produkte für breite Kundenschichten entwickelt, so zum Beispiel softwarebasierte Analysetools oder die Angebote von McKinsey Solutions. Statt hochgradig individueller Dienstleistung bieten die Berater hier zunächst ein standardisiertes Produkt an, das – falls erforderlich – für den Kunden individualisiert und in seiner Qualität laufend verbessert wird. Das eigens oder fremd entwickelte Standardprodukt kann vergleichsweise günstig angeboten werden, Individualisierungen werden dann – ggf. als Kerneinnahmequelle – höher bepreist, als ergänzende produktbezogene Services. Man nähert sich an die Produktkonzepte der Technologiebranche an oder transformiert den eigenen Beratungsbetrieb ggf. sogar zum Technologieanbieter mit technologiebezogenen Beratungsservices. Das Coaching findet ggf. als Webinar oder Videokurs, aber nicht mehr vor Ort beim Kunden statt. Die App informiert über die aktuellsten Kennzahlen im eigenen Betrieb oder der Branche. Die CRM- oder Buchhaltungs-Software wird installiert und ihr Betrieb durch Berater sporadisch gestützt. In Zukunft werden wir mehr und mehr Beispiele für von Beratern entwickelte Produkte dieser Art sehen.
Gegenüber reinen, durch Personen zu erbringenden Dienstleistungen, bietet dieser Ansatz für Berater den Vorteil dem “Hamsterrad der persönlichen Beratung” durch mehr Standardisierung zu entkommen, wenn die Produkte erst einmal am Markt etabliert und gefragt sind. Hinzu kann ggf. eine enge, laufende Bindung zu den Kundenbetrieben – z.B. durch regelmäßige Updates – aufgebaut werden. Diese Berater experimentieren mit alternativen Wegen, ihr Wissen zu teilen und zu verkaufen.
“Banneranzeigen werden durch umfassendere Produktinformationen substituiert”
Auch Werbung im klassischen Sinn als “Banneranzeige” funktioniert für komplexe Beratungsprodukte und Dienstleistungen nur mäßig. Eine Banneranzeige dient oft nur der Aktualisierung der Marke (Stichwort: relevantes Set / evoked set), nicht aber der detaillierten Produktinformation, wie sie von Kunden gewünscht wird. Die mediale Aufbereitung eines Teils des eigenen Knowhows und eine umfassende Profilierung im Web-, Print- und Eventbereich sind dem Reputationsaufbau dienlicher und ersparen einen Teil des aktiven, zeitaufwendigen Informierens, da die Ratsuchenden direkt erste Informationen und Antworten für ihr Problem finden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eigene Fachinformationen gefunden werden und glaubwürdig Expertise kommuniziert werden kann, erhöht sich, wenn sie an qualifizierten Stellen im Print- und Onlinebereich sowie auf Veranstaltungen gezeigt wird, also durch jene Medien, die die Zielgruppe gebraucht und die ihr in Bezug auf Transparenz und Vergleichbarkeit nutzen.
“Employer Branding – der neue Fokus der Personalberatung?”
Stark im Trend liegt auch das Thema Employer Branding. Hierbei geht es um die Markenwahrnehmung durch potentielle, aktive und ehemalige Mitarbeiter (Alumnis) eines Unternehmens sowie um die glaubwürdige Darstellung der Arbeitgeberattraktivität im Kampf um die besten Köpfe. Neben den klassischen Personalberatern treten in den letzten Jahren vermehrt Spezialberater auf, die das Thema Employer Branding stark propagieren und vorantreiben. Dabei werden klassische Personalberatungsdienstleistungen mit technologischem Knowhow wie Social Media oder Recruitingportalen kombiniert angeboten. Marken sind für den Geschäftserfolg von Beratern von nicht unwesentlicher Bedeutung. Neben Unternehmensmarken gibt es Arbeitgebermarken, Marken für Wissensnetzwerke, Expertennetzwerke, Verbände und einzelne Beratungsprodukte. So wie sich die Beratungsprodukte verändern, müssen je nach Schwerpunkt der Produktportfolios auch die Besonderheiten der Markenprodukte gegenüber Markendienstleistungen Berücksichtigung finden.
“Kooperation unter Dachmarken und im Medienbereich kann kleinen und freiberuflichen Beratern zum Aufschwung verhelfen”
Kleine Beratungsfirmen und freiberufliche Berater stehen im Gegensatz zu großen, etablierten Beratermarken zu Beginn ihrer Geschäftsentwicklung häufig vor dem Problem, die Wahrnehmbarkeit ihrer Angebote bei ihren Zielgruppen zu erzielen. Oft fehlt es an Zeit, Budget, Marke oder dem nötigen Wissen, wie effizient auf die eigenen Beratungsprodukte aufmerksam gemacht werden kann. Die resultierende Angebotsintransparenz schadet auch dem Ratsuchenden.
Wo liegen Lösungen? Analog zu organisatorischen Netzwerken bietet sich Beratern die Möglichkeit zum Netzwerken im Marketingbereich, also zum Beispiel der Zusammenschluss von Beratern unter einer Dachmarke (Beispiele: Beraterverband oder Beraternetzwerk, Plattformen für Freiberufler) oder etwa die Publikation bei relevanten Fachmedien mit bekannter Marke. Die Plattformen und Medien, bei denen viele Experten aktiv sind und ihre Marketingbudgets bündeln, erreichen im Verbund in der Regel eine höhere Aufmerksamkeit zugunsten aller Beteiligten als ein Einzelkämpfer.
Fazit
“Die Nachfrage wird anspruchsvoller und transformiert das
Geschäftsmodell Consulting.”
Stark propagiert und doch vielerorts immer noch sträflich vernachlässigt: das Primat der Nachfrage. Fast jede aktuelle und zukünftige Transformation des Geschäftsmodells Unternehmensberatung ist aus Anpassungen an die Nachfrage ableitbar. Dabei ist auf zwei Nachfragegruppen besonders zu achten: Kunden und Bewerber bzw. Mitarbeiter.
Passen die Beratungsmodelle tatsächlich zu den Bedürfnissen der Kunden? Sind sie auf einen nachhaltigen Kundennutzen ausgerichtet? Sind Zeitbedarf, Qualität und Honorar im Einklang mit der Kundenanforderungen? Welche Noten geben die Bewerber und die Mitarbeiter dem Unternehmen?
Die Nachfrageseite zwingt die Anbieter bzw. Arbeitgeber regelmäßig dazu, immer näher an den Bedürfnissen zu bleiben, da ansonsten hart ausselektiert und sanktioniert wird. Dies gelingt ihr jedoch häufig nur, wenn sie eine ausreichende Menge an Angeboten vorliegen hat / kennt.
Beratungsunternehmen, die die Nachfrage verstehen und passgenaue Lösungen zu den real existierenden Geschäftsproblemen ihrer Kunden schaffen, die intern nicht sinnvoll gelöst werden können, oder Lebensvorstellungen der Mitarbeiter gut abbilden, sind gefragt. Doch Achtung: dies gelingt nur, wenn die Nachfrageseite den Anbieter auch kennt. Dazu müssen Beratungshäuser in Zukunft mehr Zeit und Geld in eine geeignete Informations- und Medienpolitik investieren. Freiberufler und kleinere Berater tun gut daran, organisatorisch und medial verstärkt zu kooperieren, um ihre Wahrnehmbarkeit zu fördern und komplexere Aufgaben übernehmen zu können.
“Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.”
Beratung ist klassischerweise ein Vertrauensgut. Doch die Nachfrage nutzt zunehmend Möglichkeiten zur Kontrolle der Anbieter. Hinzu steigt die Vergleichbarkeit der Angebote der Berater, je mehr sie sich vom Dienstleister zum Produktanbieter entwickeln.
Quellen und ergänzende Diskussionsgrundlagen:
[1] Christensen, Clayton M. u.a. (2013) “Die Zukunft der Berater”, in: Harvard Business Manager, Nov. 2013, S.28ff.
[2] Rauschenberger, Sascha et al. (2014), Future Work und Projektmanagement: Eine Symbiose, in: Conplore Magazine.
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