A n z e i g e n

Demographischer Wandel und Auswanderer – das Versagen des “National” Employer Branding und seine Folgen

Gerne reden unsere Parlamente darüber, wie wir Einwanderer ins Land holen – locken – können. Dringend gebrauchte Fachkräfte, Akademiker und Menschen mit dem Charakterzug Neues anfangen zu wollen. Bei uns. Doch auf der anderen Seite verlassen uns gemäß des neuen OECD-Berichts 140.000 Menschen pro Jahr, die gerade diese Qualifikationen und Charakterzüge haben. Schon Deutsch sprechen, integriert sind und Jobs hatten, die nach dem Freiwerden in aller Regel mit langen Nachbesetzungszeiten und kostenintensiven Einarbeitungszeiten für die Nachfolger einhergingen [1]. Oder es schlossen Geschäfte in Gegenden, wo vielleicht sowieso schon viel schließen musste. Und keinen stört das.

Der demographische Wandel zeigt allen, dass sie länger arbeiten müssen. Vermutlich am Ende auch immer weniger rausbekommen und das alles vor einem Hintergrund schnell sinkender Lebensqualität im Alter mit wachsenden Unsicherheiten zur Gesundheitsfrage, des Arbeiten Können/Müssens in Umgebungen, die her darauf ausgelegt sind, den Faktor Mensch zu verschleißen und der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung, die zunehmend als reglementierter, überwachter und allgemein kälter wahrgenommen wird [2].

“Warum soll ich mir den Scheiß weiter antun?”

Diese Frage stand bei vielen dieser Menschen am Anfang der Betrachtung, ob man auswandert, oder nicht. Eigentlich steht diese Frage bei vielen auf der Tagesordnung, aber nur wenige reagieren so, wie die 140.000 pro Jahr, die dann tatsächlich gehen. Denn sie können es. Andere wollen vielleicht, können aber nicht. Dann gibt es die, die noch keine Notwendigkeit sehen zu gehen, aber könnten. Und die, die… Hier könnte man weitere Beispiele anführen, die aber nur eines zeigen: die Dunkelziffer ist enorm! Doch wer geht in aller Regel? Das sind die, die gut ausgebildet sind. Handwerksmeister, Akademiker und Selbständige, die gewohnt sind, Verantwortung zu übernehmen und gewillt sind etwas Neues anzufangen. Ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Pioniere. Gründer. Kurz: Macher! Und da wir diese Menschen gehen lassen, ohne dass man nachfasst, Anreize schafft zu bleiben oder das Thema überhaupt auf die Tagesordnung bringt, heißt dann wohl, dass man politischerseits denkt, dass “man Reisende nicht aufhalten soll”.

Auf der anderen Seite will man Menschen hierherholen und integrieren, ohne dass eine ganzheitlich erkennbare Migrationspolitik oder eine geordnete Integrationspolitik erkennbar wäre, damit sie hier zu Machern, Gründern und gesellschaftlichen Stützen werden. Und dazu wollen wir gezielt Akademiker, Handwerksmeister und Pioniere ansprechen.[3]

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Wir reden davon, dass wir überaltern. Dass Arbeitskräfte knapp werden. Fachkräfte vielerorts Mangelware sind und lassen Jahr für Jahr die Bevölkerung einer großen Kleinstadt ziehen? Oder anders ausgedrückt: die besseren zehn Prozent einer Großstadt? Die zehn Prozent, die gemeinhin das an Steuern und Sozialabgaben einzahlen, auf die dann die anderen 90 Prozent angewiesen sind, damit das Sozialsystem so überhaupt existieren kann?

Wir lassen Jahr für Jahr unsere Leistungsträger, Pioniere, mutige Menschen mit Gründermentalität(!) gehen, anstatt sie dazu zu bewegen, hier Neues anzufangen. Etwas aufzubauen. Zu gestalten. Schlicht: etwas zu erreichen! Doch was schreckt sie ab? Ist es die Tatsache, dass ein Gewerbe aufzubauen in Deutschland schwieriger ist als anderswo? Man mehr Lizenzen haben und Verordnungen befolgen muss, um in Berlin mit einem Bauchladen herumzulaufen als in den USA eine Pharmafabrik hinzustellen? Oder sind es andere Argumente?

Kann es sein, dass da Menschen mit den Füssen abstimmen, weil sie kein Vertrauen mehr haben, dass man das hier in Deutschland noch in den Griff bekommt. Nicht nur den demographischen Wandel an sich, sondern ÜBERHAUPT?

Und wenn wir davon ausgehen, dass das nicht Menschen sind, die mal aus Langeweile in die Ferne ziehen, dümmliche Vorstellungen haben (dann gerne auch in diversen TV-Sendeformate brillieren; als nicht englisch sprechender Taxifahrer in Dallas / Texas, USA…) und mitunter auch nicht das Leben eines Beamten im Katasteramt einer Stadt im Nirgendwo fristen, dann wird es wohl auch wesentlichere Gründe geben. Doch wenn wir in uns hineinhorchen, sind das sehr wahrscheinlich alles Fragen, die wir uns auch stellen, wenn wir nur die Entwicklung der letzten zehn Jahre verfolgt haben:

Von Abbau der Schulden reden, aber selbst bei guter Konjunktur kein Geld sparen können. Andern Geld hinterherwerfen, das nicht übrig ist, sondern selbst auf Pump beschafft wird. Warum sich totarbeiten, wenn am Ende alles der Staat kassiert [4]? Warum ein Unternehmen hier aufmachen, wenn als erster, zweiter und dritter der Staat, die Gemeine und sonst wer kassiert, bevor ich, der das Risiko und die Arbeit hat, den ersten Cent bekommt? Was hab ich noch vom Leben, wenn ich bis 63, 67 und 70 arbeiten muss? Was wird aus dem Gesundheitssystem, wenn ich alt bin [5]? Muss ich mich hier überwachen lassen? Unter Mithilfe unserer Behörden? Was macht der Staat, wenn ihm das Geld ausgeht? Wo eigentlich sollen all die Einwanderer hin? Warum werden kritische Tatsachen bewusst totgeschwiegen und verfälscht, wenn sie doch offensichtlich sind? Haben meine Kinder hier noch eine Chance?

Die letzte Frage mit NEIN zu beantworten, dürfte dann für viele der ausschlaggebende Grund gewesen sein. Denn diese Menschen haben Verantwortung, gelernt sie aktiv wahrzunehmen, haben die Mittel und das Gefühl, dass SIE nun tätig werden müssen, da zu viele sie betreffende und für wichtig empfundene Parameter unstimmig, ungeklärt oder widersprüchlich sind. Und das sagt dann über unsere Gesamtlage schon einiges aus.

Doch was heißt das für die Wirtschaft?

Es heißt klipp und klar, dass mit zunehmender Unsicherheit, mit zunehmender Verschärfung der Gesamtsituation im Lande, immer mehr dringend benötigte Menschen kündigen und gehen. Und das werden dann vermutlich auch wieder die besseren Mitarbeiter sein, die man halten möchte, die man braucht… Damit wird das Employer Branding, das schon jetzt zunehmend an Bedeutung gewinnt und weiter gewinnen wird, ein Element, das durch das Unternehmen wenig bis gar nicht verändert werden kann [6].

Doch anders, als der bisher noch recht desinteressiert auftretende Staat haben Unternehmen die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Sie können proaktiv die Belegschaften fragen, wer sich mit dem Gedanken beschäftigt und nach Gründen fragen. Alternativen anbieten, falls der Wunsch schon recht konkret (akut) ist; beispielsweise Stellen / Dienstposten in Auslandsstandorten anzubieten. Dann auch mit der Option doch erst mal auf Zeit, um zu sehen, ob der Entschluss auch richtig ist. Das hätte Vorteile für beide Seiten…

Doch eines wäre fatal: zu warten, wie es die Politik vormacht.

Wenn diese Tendenz so weitergeht, dann verlieren wir in zehn Jahren fast anderthalb Millionen Menschen, die wir hier brauchen. Zusätzlich zu denjenigen, die aus gesundheitlichen und/oder altersbedingten Gründen ausscheiden. Doch diese Menschen sind durch die Bank die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Daher wirkt sich der Verlust mehrfach aus. Mitunter so, dass zusätzlich zu den Nachbesetzungskosten für die Unternehmen noch Kosten anfallen, die neben Weiterbildung auch Integrationspakete beinhalten, um Einwanderer für das Unternehmen fit zu machen [7].

Auch eine Dimension, die gern unterschätzt wird, aber bei leeren Kassen im öffentlichen Bereich wohl auch zunehmend auf die Unternehmen zukommen werden wird. Das Argument hierfür wäre dann wohl das “Verursacher- / Bedarfsträgerprinzip” der Kostenabwälzung.

Christian Linder, der Bundesvorsitzende der “Freien Demokraten”, selbst im Düsseldorfer Landtag von jemanden angegriffen worden, der auf Gründermentalität bestenfalls mit Spott und Schadenfreude reagiert, wenn es mal nicht sofort passte, fordert für Deutschland eine bessere Gründerförderung. Auch als zweite oder mit zweiter Chance. Doch in Anbetracht dessen, dass 140.000 Gründermentalitäten, Pioniere und Mutige unser Land verlassen, weil es kein “Citizen Branding” gibt, noch nicht einmal ein sichtbares Interesse daran besteht, lässt diesen seinen Ansatz recht fad erscheinen. Und, und das ist eher traurig, dass die FDP die einzige Partei ist, die sich für Gründer überhaupt öffentlich interessiert und stark macht.

Doch sicher ist, dass ohne ein zügiges Konzept hin zu einem “National Employer Branding” – einer besseren Bürgerbindung an seinen Staat, wir die Wirtschaft zusätzlichen Belastungen unterworfen, die so nicht notwendig sind. Einige zehntausend Menschen pro Jahr erscheinen wenig, doch sind es mit Masse unsere Besten. Unsere Leistungsträger. Die, die das Sozialwesen aufgrund ihrer Leistung zu erheblichen Teilen (mit-)finanzieren. Finanziert haben, denn sie gehen seit Jahren in immer größerer Zahl.

Auch wird es zunehmend schwieriger, mit immer weniger die Zahl derer zu integrieren, die sie dann – so ideologisch propagiert – ersetzen sollen. Müssen. Denn man braucht letztlich auch vollintegrierte deutsche Bürger, die Migranten integrieren. Und das in größerer Zahl als die, die integriert werden sollen. Sonst geht es nicht. Und die, die gehen, sind doch die, die unbefangen, offen und kontaktfreudig auf andere Kulturen, Gesellschaften und Religionen zugehen können, denn sonst könnten sie selbst nicht auswandern. Wieder ein Aspekt, der zu wenig bedacht wird. Der untergeht.

Insgesamt also eine Herausforderung, die der Lösung harrt. Und jeder Tag, der vergeht, ohne dass etwas passiert, treibt weitere Menschen aus dem Land, das exakt diese Menschen aus vielerlei Hinsicht dringend braucht. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man meinen, Till Eulenspiegel hätte wieder zugeschlagen und der Schildbürgerstreich wäre nur eine Nummer größer ausgefallen.

 


Quellen:

[1] Neuer OECD-Bericht Deutschland wird zum Auswanderungsland – Vor allem Hochqualifizierte machen immer häufiger im Ausland Karriere. Viele kehren auch wieder zurück. Die Industrieländer-Organisation OECD erkennt dennoch Warnsignale. FAZ v. 01.06.15: “FAZ v. 01.06.15 Artikel” (faz.net)

[2] Vgl. Rauschenberger, Sascha (2014): “Future Work und Megatrends – Herausforderungen und Lösungsansätze für die Arbeitswelt der Zukunft: Ein Kompendium zum demographischen Wandel” (Windsor-Verlag)

[3] Vgl. Rauschenberger, Sascha (2015): “Future Work und Mobilität im demografischen Wandel: Mögliche Standortnachteile für die Wirtschaft” (Conplore Magazine)

[4] Vgl. Rauschenberger, Sascha (2014): “Future Work und Work Life Cycle: Der Zusammenhang von Arbeit und Altersvorsorge unter der Lupe” (Conplore Magazine)

[5] Vgl. Rauschenberger, Sascha (2014): “Future Work: die Arbeitswelt der Zukunft und die Hürde Gesundheitsvorsorge” (Conplore Magazine)

[6] Vgl. Rauschenberger, Sascha (2014): “CI: der Schlüssel für die Mitarbeiterbindung an die Unternehmensgemeinschaft” (Conplore Magazine)

[7] Vgl. Rauschenberger, Sascha (2015): “Joint Future Work ein Tsunami verändert die Arbeitswelt der Zukunf” (Future Business Consulting)

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