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Future Work und akademische Lehre: Wenn der Bock zum Gärtner mutiert

Der demographische Wandel hat in Deutschland aus arbeitstechnischer Sicht eine selbstverschuldete Eskalation erfahren, die ursächlich zwei Komponenten enthält; eine zwangsläufige und eine nachfolgende. Erstere ist durch den Bedarf der Wirtschaft geprägt gewesen und zielte auf stringentere und damit schnellere Ausbildungen ab, um den Bedarf an neuen differenzierteren Berufen und Berufsbildern schneller abzudecken. Letztere aber sind anbieterverursacht und mehr dem Streben nach wirtschaftlichen Erfolg geprägt als durch eine stringente geistige Durchdringung der Komplexität der daraus resultierenden Veränderungen, deren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen und der fehlenden Weitsicht, wohin das führt – gerade auch im Zusammenhang mit dem, was seit 40 Jahren absehbar war. Und das hätte man von akademischen Institutionen verlangen können und müssen [1].

Wir sind in unseren Denkweisen so sehr akademikerlastig, dass wir schon tendenziell dazu neigen, Ideen und Vorschläge von Nichtakademikern von vornherein zu verwerfen. Mitunter auch soweit, promovierte Meinungen denen vorzuziehen, die keine Promotion haben. Und Professoren da zu glauben, wo schon aus deren Vita hervorgeht, dass das kaum matchen kann.

Warum? – Reine Titelgläubigkeit! Und das geht runter bis zum Gabelstaplerfahren.

Wir sind zu einer Gesellschaft geworden, die eher einem wie auch immer zustande gekommenem Zertifikat glaubt, als einer nachgewiesenen Berufserfahrung, die nicht als Urkunde zu rahmen ist. 30 Jahre auf Montage und das Wissen um Grenzen zählen weniger, als das theoretische Know-how aus Computersimulationen und gedachten Prozessen in der Realisierung. Wir sind jederzeit bereit, so einem Stück Papier mehr zu trauen, als dem Mann vor Ort. Selbst dann, wenn wir gar nicht wissen, welche Qualität dieses Zertifikat hat, wie es zu Stande kam, und wie es im Vergleich zu was auch immer zu bewerten ist. Denn auch diese Vergleiche werden nur selten gezogen. Der Stempel einer gern englisch benannten Bildungseinrichtung mit Unterschrift darauf, möglichst von jemanden mit Titel, reicht oft.

Höchste Zeit zu hinterfragen, wie solche Institute, Akademien, Schulen, Universitäten zu bewerten sind, wenn es um ein Thema geht, das mehr als eine (Teil-) Disziplin betrifft: Future Work.

Vor knapp 30 Jahren rannten die geburtenstarken Jahrgänge die Universitäten ein. Die damaligen Diplom-Studiengänge waren so angelegt, dass die Scheine für das Hauptstudium oft nur mit Wartezeiten zu erlangen waren, was die Studiendauer auf oft 6 bis 8 Jahre für das Diplom hinauszögern konnte. Ein Umstand, der wirtschaftlich nicht tragbar war. Weder auf der Kosten- noch auf der Nutzenseite. Daher resultierte der Ruf nach stringenteren Ausbildungen und man liebäugelte mit dem US-System, einer Art klar strukturiertem selbstreichendem/aufbaufähigem aber kurzem Grundstudium mit nachgelagerter (teils sehr) engen fachspezifischen Masterausbildung. Damit konnten die Ausbildungszeiten von Akademikern drastisch reduziert werden.

Leider wurde damit auch noch etwas reduziert, was erst nicht ins Gewicht fiel: die interdisziplinäre dann auch die fachspezifische Breite der Ausbildung.

Die Wirtschaft merkte plötzlich, dass die hochspezialisierten Akademiker mitunter nur noch bedingt in der Lage waren, selbst fachnahe Themen qualifiziert abarbeiten zu können. Von einem interdisziplinären Gesamthandeln ganz zu schweigen. Ein Umstand, der zunehmend bei Großprojekten zum Tragen kommt, da die Managementleistung oft nur noch auf den fachspezifischen Einschätzungen derer beruht, die selbst über fachliche Scheuklappen verfügen und rollentechnisch auch gar nicht dafür sorgen müssen, dass der oft zitierte Tellerrand eben nicht die Grenze darstellt. Und “über den Zaun zu schauen” in unserer kommunikativen Zeit gern auch als Einmischung und Kompetenzüberschreitung gesehen wird.

Doch warum macht das den Bock zum Gärtner?

Wenn in der Industrie der Globalisierungsdruck zu kostenreduzierenden Prozessen, stringenten Work-Flows und Organisationsmodellen geführt hat, wo Rollen sich auf immer weniger Tätigkeiten und Aufgaben beschränkten dafür aber ablaufoptimiert kosteneinsparend sind, hätte man doch glauben können, dass dieses System einmal kritisch hinterfragt würde. Gerade auch auf die Folgen für eine Gesellschaft, wo eben diese diversifizierten Berufsbilder durch den zunehmenden Mangel an Masse zu weiteren absehbaren Engpässen führen werden.

Das hätte das akademische Umfeld zumindest andenken müssen. Tat es aber nicht. Und wenn nur so, dass man es mal im Rahmen einer Forschungsarbeit abgearbeitet hat. Vielleicht zum Titelerwerb… Doch das wäre unfair, alleinig stehen zu lassen, denn die Landschaft der akademischen Ausbildung hat sich gewandelt. Mittel wurden gestrichen. Flexibilität gestaltet, gefordert und geliefert. Mit klarem Fokus auf Eigenpräsentation (Werbung) und fachlicher Spezialisierung und Kooperation zum Drittmittelbezug. Letzterer ist für viele Institute an Universitäten inzwischen (über-)lebenswichtig geworden.

Und damit ist der überfachliche Fokus zum großen Teil verloren gegangen. Oft sogar modetechnischen Trends hinterhergehechelt. Oder es wurden neue Themenfelder definiert, aufgebaut und gelehrt, was nach EU-Recht recht einfach zu bewerkstelligen ist und auch für gewöhnliche Berufe realisierbar ist. Gartengestaltungsfachmarketing ist ebenso denkbar wie ein Master in Tauchwirtschaft. Beides lässt sich vermutlich nicht lange als Ausbildung wirtschaftlich für den Anbieter vertreten, doch die Genehmigung hängt allein von der hinreichenden Beantragung beim Landeskultusministerium ab. Der Fortbestand einer solchen Ausbildung / Qualifikation aber durch die Akzeptanz.

Letztere kommt durch Nachfrage am Markt zu Stande. Ergo wurde das kreiert, was nachgefragt wurde. Und das waren fachlich immer enger werdende und zeitlich gestraffte Ausbildungen. Mit immer weniger Redundanzwirkung in der Praxis und immer weniger fachliche interdisziplinäre Entwicklung/Forschung beim Anbieter. Allein deshalb, um sein “Angebot” besser zu positionieren. In den dazu notwendigen Veröffentlichungen, Forschungsarbeiten und Vorträgen, die in diesem Zusammenhang auch als Werbung(!) zu sehen sind. Ohne das, kein Drittmittelaufkommen. Akademische Arbeit folgte zunehmend wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Damit ging der Ansatz in der Breite verloren. Interdisziplinäre Perspektiven schrumpften zusammen. Gesamtbilder verblassten. Kompetenz ging verloren. Und das in einem Umfeld, wo das verfügbare Gesamtwissen ständig exponentiell ansteigt. Komplexität zunimmt. Damit sind die meisten sich quasi selbst finanzierenden Forschungsinstitute von Universitäten, Fachhochschulen und Akademien aller Couleur eben nicht mehr die Tempel der Wissenschaft, die wir in ihn sahen oder noch sehen wollen.

Sie sind nun Teil des Systems…

Nach Hilfe im “akademischen Umfeld” zu suchen, gestaltet sich also schwierig und bei Vorträgen merkt man schnell, dass der Bezug des Vortragenden meist sehr eng an sein Fachthema geknüpft ist, das er selbst “vermarkten” muss. Interdisziplinäre Überlegungen fehlen meist völlig und der Praxisbezug ist oft (nur) von dem geprägt, was Forschungsaufträge an Erfahrungen ermöglicht haben. Dann auch meist eher sehr themennah.

Future Work ist auch ein Konfliktthema. Das universitäre Umfeld mag im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung vielerorts einer Schlangengrube ähneln, doch ist diese im Vergleich zu (beispielsweise…) Projekten zur Restrukturierung/Sanierung von Unternehmen und deren Gremien und Interessenvertretern eher mit Würmchen gefüllt und als “Loch der Glückseeligen” anzusehen, deren Probleme man gerne hätte. Und zwar nur und immer.

Seit nunmehr 15 Jahren haben wir auf diese Art unseren akademischen Nachwuchs geprägt, Berufsbilder zergliedert und diversifiziert. Rollen und Work-Flows darauf abgestimmt. Kostenmäßig optimiert, weiter spezialisiert und an der Intensität gedreht.

Das hat die “Wissenschaft” mitgemacht. Mitmachen müssen, denn es wurden ihr die Mittel gestrichen das zu erforschen, was sie mitunter auch gern wollte und sinnvoll gewesen wäre. Der hohe Durchsatz an Studierenden/Auszubildenden hat darüber hinaus dazu geführt, dass man auch vor Ort gut mit dem reinen Handling dieser Masse beschäftigt war. Zusätzliche Bürokratisierung tat ihr übriges, um noch verfügbare Forschungszeit zu verknappen. Selbst dann, wenn Ressourcen da waren.

Future Work und demographischer Wandel wird in der Wissenschaft und den Bildungsträgern erst ankommen, wenn auch der Letzte begriffen hat, dass das ein wirtschaftliches Thema ist – als Einnahmequelle. Und dann wird es so gehandhabt, wie es immer lief. Das eigene (Fach-)Thema wird um den Zusatz “Future” ergänzt. Das Institut schnell umbenannt. Von “Institut für wirtschaftliche Zusammenarbeit im öffentlichen Dienst” zu “Institut für zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit im öffentlichen Dienst” oder “Institut für wirtschaftliche Zusammenarbeit im zukünftigen öffentlichen Dienst” oder “Institut für wirtschaftliche Zusammenarbeit im öffentlichen Dienst der Zukunft“. Letztere Änderung könnte zum Standard werden, denn sie liest sich gut.

“Man darf nicht Lösungen von Leuten zu Problemen erwarten, die sie selbst verursacht haben”, so ein Sprichwort.

Zu behaupten, dass der akademische Bereich das alleinig zu verantworten hat, wäre falsch. Doch man war Teil des Systems, das das Problem geschaffen hat. Weil es marktüblich segmentiert, überspezialisiert und aus interdisziplinären Zusammenhängen gerissen wurde, in der jede Disziplin – egal welcher Richtung – letztlich steht.

Wer es nicht glaubt, möge Kontrollfragen stellen, wenn ein Prof. Multi-Dr. zum Thema Arbeitswelt der Zukunft vorträgt. Einfach etwas fragen, was sein ausgewiesenes Fachthema nicht berührt. Trägt er zu Industrie 4.0 und den rosigen Zeiten der daraus resultierenden Produktionslandschaften vor, fragen Sie nach Auswirkungen auf die Gesamtbelegschaft und zweckdienlicher Kommunikation für den Betriebsrat. Redet er von Future Workspaces, Future Management und Future Mobility, fragen Sie nach IT-Sicherheit.

Die Antworten werden verblüffen. Fairer Weise sollte man aber nicht übertreiben. Denn wer immer da steht: fachlich stehen wir ALLE am Anfang von etwas, das in seiner Komplexität seinesgleichen sucht. Nur wäre es vorteilhaft, über den Tellerrand zu schauen oder zumindest schauen zu wollen. Denn darauf kommt es bei Future Work an. Gerade hier in Mitteleuropa, wo der demographische Wandel das vordergründige gesellschaftliche Momentum darstellt, das wirtschaftlich zusätzlich verstärkt wird. Und damit gesellschaftspsychologisch wirkt. Mit all den daraus schon jetzt absehbaren Folgen auch für die politische Willensbildung und damit die zu erwartenden Weichenstellungen [2].

Somit ist das Thema insgesamt nur in einem Joint-Ansatz zu lösen, der mehr als eine Fachdisziplin beinhaltet und aufeinander abgestimmt werden muss. Arbeit ist eine querschnittliche Ressource. Wie Energie. Sie wirkt (sich) daher auch überall (aus). Die Lösung fokussiert in etwas zu suchen, was allein steht, keine Anknüpfungspunkte zu anderen relevanten Bereichen hat, ist kaum praxisrelevant.

Und somit könnte sehr schnell der Bock zum Gärtner mutieren.

 


Quellen:

[1] Vgl. Rauschenberger, Sascha (2014): “Future Work und Megatrends – Herausforderungen und Lösungsansätze für die Arbeitswelt der Zukunft: Ein Kompendium zum demographischen Wandel” (Windsor-Verlag)

[2] Vgl. Rauschenberger, Sascha (2014): “Demografischer Wandel und Future Work: Eine gesellschaftliche Herausforderung für den Arbeitsmarkt der Zukunft” (Conplore Magazine)

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