JOINT FUTURE WORK[1] und das Recruiting (von Busfahrern) – Corporate Identity und Employer Branding in neuer Zeit
Wenn wir über die Zukunft reden, dann denken wir meist daran, dass alles besser werden wird. Schöner, vielfältiger, interessanter und insgesamt lebensfreundlicher. Utopien und Visionen gehen daher gern Hand in Hand.
Viele dieser Visionen stehen heute oft im Zusammenhang mit Digitalisierung. Digitalen und global agierenden Unternehmen, die alles sofort und immer anbieten. Plattformen für alle Bedürfnisse.
Gern wird dabei vergessen, dass am Ende da immer einer sein muss, der es macht. Es produziert. Der das Produkt erst entwickelt oder überhaupt die Idee dazu hat. Manchmal aber auch einer, der es nur noch von A nach B bringt.
In Zeiten des demographischen Wandels war das bisher ein Job, der als recht sicher galt: Fahrer.
Auch im Alter und allen digitalen Träumen von selbstfahrenden Autos zum Trotz. Denn auch ein selbstfahrendes Postauto bringt das Paket nicht an die Tür.
Und das wertvollste Gut, das transportiert werden kann, der Mensch an sich und dann auch in Massen, verlangt schon vom Grundprinzip her die beste Fürsorge.
Diese Flexibilität und Geisteshaltung als Anspruch wurde bisher nur von anderen Menschen erfüllt.
Busfahrer waren für mich als Unternehmensberater an der Schnittstelle Digitalisierung, Demographie und Future Work immer ein gutes Beispiel dafür, dass es Berufe gibt, die auch im Alter – trotz Digitalisierung – vorerst noch von eben dieser nicht so schnell verdrängt werden. Nicht unbedingt aus technischen Gründen, wohl aber aus rechtlichen und auch rein psychologischen Gründen. Manchmal auch nur deshalb, weil der Mensch in seiner omnipotenten Flexibilität und selbständig handeln zu können billiger ist.
Doch dieser Gedanke bedarf nun ein paar weiterer und zusätzlicher Impulse, denn so einfach ist das nicht. Oder nicht mehr. Denn gesellschaftlicher Anspruch und Wirklichkeit treffen auf unternehmerisches Denken in sich wandelnder Zeit. Und bei so viele Träumen von arbeitsfreier digitaler Zukunft ist der Wille sich hinter ein Lenkrad zu setzen oft nicht mehr gegeben. Vor allem bei Jüngeren. Und hier beginnen die Probleme bei Busfahrern, die aber nur stellvertretend sind. Fast jedes Handwerk ist auch betroffen. Mit Händen zu arbeiten gilt heutzutage als nicht sehr sexy, ist uncool und dreckig.
Überall fahren nun Busse mit Aufschriften, Einblendungen oder im Anzeigedisplay an der Endstation sichtbar, dass Fahrer gesucht werden. Warum? – Weil auch das keiner mehr machen will. Und das hat Gründe…
1.) Monotonie
Der Dienst als Busfahrer ist eigentlich recht simpel. Für Aussenstehende fährt dieser eine feste Route entlang und hält an definierten Haltestellen zu festen Zeiten. Und das solange, bis sein Dienst um ist oder man Pausen machen muss. – Ein Vierteljahrhundert Linie XY…
Das hier dann auch gern die wachsende Fernbusbranche Kandidaten aus dem Stadtverkehr abzieht ist klar und folgerichtig. Wenn schon Busfahrer, dann lieber mit „Fernfahrerromantik“… Letzteres ist ein Trugschluss, den es auch im Just-in-time-geprägten Transportgewerbe nicht mehr gibt, der aber örtliche Straßenverkehrsbetriebe vor ein unlösbares Dilemma stellt.
2.) Arbeitszeiten
Busse sollen natürlich immer fahren. 24/7 ist da ein Begriff, der jedem Fahrgast schnell in den Sinn kommt, wenn es um das Anspruchsverhalten geht. Dass da natürlich dann jemand fahren muss, ist nicht gerade bewerbersteigernd. So bequem der Fahrgast ist, so bequem ist in aller Regel auch die Grundhaltung beim Bewerber.
3.) Bezahlung
Solange diese nun andere Realität gut bezahlt wird, kann auch der moderne und etwas verwöhnte Bewerber durchaus mal ein Auge zudrücken, wenn es um Berufe geht, wo man selbst Dienstleister ist. Einen Service für andere bereitstellt.
Leider ist das nicht so. Busfahrer gehören nicht zu den Spitzenverdienern. Können sich nicht das leisten, was die bunte Werbewelt so generiert. Ergo ist das kein Argument für die, die gut ausgebildet sind – oder es glauben zu sein. Denen, denen die saubere Homeoffice-gestützte und digitalisierte Future (Work) – möglichst cool virtuell gestaltet – offensteht.
Ergo ist das dann auch kein Wahlkriterium. Nicht für die guten Leute zumindest, auf die die Personaler schielen.
4.) gesellschaftliche Achtung
Und damit braucht der Begriff gesellschaftliche Achtung schon gar nicht mehr in den Mund genommen zu werden, denn das ist ein Lippenbekenntnis derer, die den Service nutzen. Ähnlich Sanitärinstallateur, Bäcker oder Fliesenleger…
„Da sitzt jemand hinter’m Steuer, fährt für wenig Kohle von A über B,C,D nach E und zurück. Selbst am Wochenende und an Feiertagen wenn es schief läuft. Ist der Ars… für alle und hört sich auch noch blöde Sprüche an. So what?????“
5.) Sicherheit
Was nichts wert ist, oder als wenig werthaltig angesehen ist, das wird auch so behandelt. Genauso wie man mal eben Abfall fallen lässt, werden auch die schikaniert, die als gesellschaftlich minderwertig angesehen werden. Gern durch die, die es mangels Bildung, Erziehung oder durch zu viel Alkohol/ Drogen wirklich sind. Obdachlose werden angezündet und Busfahrer beschimpft, bedroht und gern auch immer öfters mal angegriffen.
Oder Fahrgäste werden bedroht und attackiert. Keine Woche, wo nichts passiert. Inzwischen so oft und so heftig, dass ein Gesetz her soll, das es richtet. Dabei weiß natürlich jeder, dass Gesetze ex post greifen und die Tat dennoch stattfindet.
Letztlich also auch ein Umfeld, das wenig zum Berufswunsch Busfahrer an sich zuträglich ist.
Letzteres ist dann ein Kill-Kriterium für alle Bewerber, die sich gründlich informieren und nachdenken. Ein wenig anerkannter Beruf, zu ungünstigen Zeiten ausgeübt, ggf. mies bezahlt UND dann auch noch zunehmend gefährlich schafft ein Bewerberaufkommen, das sich zu oft mit dem Bedarf schneidet.
Nicht jeder ist zudem geeignet einen Bus zu fahren. Es bedarf mehr als nur einen passenden Führerschein zu haben oder zu machen. Ein paar grundlegende charakterliche Qualitäten sollten da sein. Beispielsweise der Servicegedanke… Und da schließt sich der Kreis.
Ein weiterer Aspekt ist daher, was Busgesellschaften tun, um nicht nur Fahrgäste, sondern auch ihr Personal zu schützen. Wo Videokameras nicht nur den Fahrgastbereich überwachen und damit „sicherer“ machen, sondern auch dem Fahrer Schutz und Sicherheit bieten.
Leider ist es so, dass viele Videosysteme in Bussen nicht hochauflösend und damit juristisch verwertbar sind (dafür waren sie billig), gar nicht funktionieren (!) oder sogar nur an die Decke geklebte Attrappen sind.
Letztlich muss es nicht zu physischen Angriffen kommen, es reicht auch schon die nicht falsifizierbare Behauptung von Fahrgästen, um Fahrer in Schwierigkeiten zu bringen.
So geschehen im Raum Düsseldorf bei der Rheinbahn AG, was deutschlandweit für Schlagzeilen vor Weihnachten sorgte.
Einem Schulbusfahrer, eingesetzt von einem Subunternehmer der Rheinbahn AG, wurde vorgeworfen, ein zwölfjähriges autistisches Mädchen vier Kilometer vor der eigentlichen Haltestelle bei Dunkelheit in ländlicher Gegend ausgesetzt zu haben.[2]
Auslöser war ein Artikel der Rheinischen Post (RP) deren Cross-Media Redakteurin wohl den Post des Vaters auf Facebook gesehen haben könnte, der letztlich den Shitstorm gegen die Rheinbahn ins vorweihnachtliche Rollen und damit das Unternehmen in Erklärungsnöte gebracht hatte.
Letztere dann dergestalt, dass nach Weihnachten eingeräumt werden musste, dass sich der Vorgang nicht aufklären lassen könnte. Aussage gegen Aussage steht.
Letztlich unschön für alle Seiten. Der Vater und das Kind stehen ratlos und emotional verletzt da. Das Unternehmen hat einen doppelten Imageverlust. Einerseits konnte der Fall für alle anderen Fahrgäste / Kunden / Bürger nicht geklärt werden, was andererseits auch auf den Fahrer und die eigenen Beschäftigten zutrifft. Und da im Netz durchaus auch Fälle dokumentiert sind, dass Busfahrer autistische Kinder geschlagen haben, bleibt ein unschöner Nachgeschmack. Gerade für die betroffenen Mitarbeiter, die mit Sicherheit hier eine Klärung für sich, ihren Kollegen und auch das Kind gewünscht hätten.
Dazu war die Rheinbahn, letztlich der wahrgenommene Arbeitgeber, aber nicht fähig. Eine Fahrtenschreiber-und Türöffnerzählwerk-Auswertung hatte keinerlei Abweichungen ergeben. Der Videobeweis, dass der Fahrer nicht/oder mit dem Kind gesprochen hat fehlt völlig. Zurück bleibt eine Frage, die alle nicht gestellt haben. Angefangen vom Vorstand der Rheinbahn, über deren Kommunikationsabteilung, die mailmäßig in die Aussenkommunikation des Unternehmens eingebundenen Redaktionen (Crossmedia und Lokales) der Rheinischen Post und auch nicht durch dort beschäftigten Fahrer.
Was wäre, wenn das Mädchen oder der Fahrer(!) – in extremis – umgebracht worden wären? Wo war der Schutz der (Schul)Businsassen insgesamt? Wo die Aufklärbarkeit? Und was heisst das für uns alle? Auch für die Fahrer???
Die Rheinbahn AG bemüht sich für ihren Auftragsbereich gutes Personal zu finden. Ist nach der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn AG mit an der Spitze dessen, was digitale Ausgestaltung des Fahrbetriebes aktuell zulässt und arbeitet hinsichtlich IT-Kosten pro Passagier in der deutschen Spitzengruppe. Ist also ein modernes Unternehmen.
Leider halt nicht dort, wo es inzwischen auch darauf ankommt, wenn man fahrermäßig im Geschäft bleiben will: Sicherheit im Fahrbetrieb. Für Passagiere aber eben auch für das eigene Personal. Und Düsseldorf wie auch andere Großstädte machen hier zunehmend durch Vorfälle auf sich aufmerksam, die Interessenten, Bewerber und letztlich Kandidaten in der Berufswahl abschrecken.[3]
Was bedeutet das für die Corporate Identity des Unternehmens, wenn so etwas vermehrt und zu oft auftritt. Der Fahrer sieht sich in der unterbezahlten Opferrolle. Einer Situation, die den Zusammenhalt unter den Kollegen zwar fördert, aber letztlich andere Unternehmen als vorteilhafter erscheinen lassen. Solange diese beweisen können hier besser für ihre Angestellten zu sorgen. Sie besser zu schützen. Zum Beispiel mit hochauflösenden und funktionierenden Videosystemen. Etwas, was wir als Fahrgäste als gegeben angesehen hatten.
Es ist also so, dass nicht nur weniger Talente gewonnen werden können, sondern auch mehr verloren gehen. Das Employer Branding Schaden nimmt, wo es eigentlich gestärkt werden sollte. Gerade in Zeiten, wo die gesellschaftliche Achtung selbst für allseits nötige Serviceberufe stark abnimmt.[4]
Abb.: Regelkreis Personalmarketing hinsichtlich Gestaltungsfreiheit von Unternehmen
Der o.g. Vorfall hat nicht nur die Unternehmensmarke Rheinbahn am Personalmarkt beschädigt, sondern die ganze Branche. Signifikante Umsatzrückgänge wird es auf dem monopolistischen Regionalmarkt eines öffentlichen Nahverkehrsunternehmens kaum geben.
Aber auf dem Personalmarkt hat das Unternehmen an Image eingebüßt. Eine ganze Branche und ihre angestellten Fahrer deutschlandweit geschädigt. Eine Branche, die sowieso schon zunehmend (Nach-)Besetzungsschwierigkeiten hat. Immense Kosten allein für das Personalmarketing aufwenden muss, um geeignete Interessenten zu erreichen. Sogar auf Frauen zurückgreift, die in solchen – „modernen und neueren“ – Szenarien noch angreifbarer sind als ihre männlichen Kollegen.
Eine CI heißt nicht nur nach aussen zu wirken, sondern auch nach innen. Sicherheit also nicht den Fahrgästen gegenüber vollmundig zu versprechen, sondern sie auch den eigenen Beschäftigten zu bieten. Zu garantieren.
Busse und Bahnen mit Videoanlagen auszustatten, die nicht nur Fahrgäste schützen sondern auch die Fahrer sollte selbstverständlich sein. Es ist keine überflüssige Investition sondern eine notwendige Maßnahme in zunehmend verrohenden gesellschaftlichen Umfeldern auch die eigenen Mitarbeiter zu schützen: vor Angriffen, Verleumdung oder auch nur gegen vermeidliche Irrtümer.
Und auch das hat ein Unternehmen heute zu bedenken: die Social Media sind nicht nur ein Ort, wo Urlaubsbilder geteilt werden. Sondern auch Beschwerden. Diese werden von Medien abgegriffen, untereinander getauscht / weitergereicht und damit Geschäft generiert. Viele Verlage haben gemeinsame Newsplattformen. Das reduziert Kosten und generiert so auch einen größeren Zugriff auf eigene Artikel.
Der professionelle Umgang mit diesem Medium hilft in solchen Situationen durchaus einen shit-storm abzuglätten. Den Wogen die Spitze zu nehmen. Über Weihnachten war das im o.g. Fall leicht.
Dennoch sind die Artikel nun weit verbreitet und noch sehr lange auffindbar. Auch der Arbeitgeber wird von Kandidaten „durchleuchtet“. Die Informationshoheit liegt nicht mehr beim Personaler.
Daher ist der Schaden am Image nun zeitlich gestreckt. Nachfolgende Ereignisse gern bundesweit wieder auf diese Artikel rückverlinkt. Er ist also anhaltend.
Recruiter werden es nun noch schwieriger haben geeignete zukünftige Mitarbeiter für ein solches Unternehmen zu finden. Die Kollegen ggf. mehr Überstunden machen müssen, um den Fehl aufzufangen, was das innere Gefüge weiter zur (persönlichen) Disposition stellt, die dann durch externe Angebote leicht zur Abwanderung von Fahrern führen kann. Das Employer Brandig wird also auch teurer werden…[5]
Dennoch hat diese Branche – gerade auch in der Digitalisierung und dem demographischen Wandel – eine gute Perspektive Mitarbeiter für sich finden zu können. Auf nicht abgetrennten Fahrtrassen werden digital gesteuerte Busse und Bahnen vorerst nicht vorstellbar sein. Genauso wenig wie eine Drohne, die eine Toilettenschüssel liefert und installiert. Allen Visionen zum Trotz.[6]
Aber man kann sich in Branchen, die sich sowieso schon einer geringen Beliebtheit erfreuen das Leben im HRM zusätzlich schwer machen. Und Versäumnisse der Vergangenheit in Verbindung mit dem Schönreden sich verändernder Zeiten können hier schnell zusätzliche Elemente ins Spiel bringen, wo Mitarbeiter zunehmend passen. Oder gleich wegbleiben…
Abb: Joint Future Work
Quellenverzeichnis:
[1] Vgl.: Future Business Consulting: Definition Joint Future Work (2014)
Vgl.: Sascha Rauschenberger: Joint Future Work – Ein strategisches Gesamtkonzept für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik im demographischen Wandel (2015)
[2] Vgl: Artikel Der Westen vom 12.12.17: https://www.derwesten.de/panorama/streit-hat-ein-busfahrer-eine-autistisches-schuelerin-10-im-dunkeln-aus-dem-bus-geworfen-id212812783.html
Auslöser war RP, 11.12.17: http://www.rp-online.de/nrw/staedte/meerbusch/meerbusch-kind-aus-schulbus-geworfen-rheinbahn-weist-vorwuerfe-zurueck-aid-1.7260045
[3] Vgl.: Sascha Rauschenberger: Joint Future Work und Fehlermöglichkeiten in der Digitalisierung – Teil 3: Die Kosten der Sicherheit, Conplore Magazine (2016)
[4] Vgl.: Sascha Rauschenberger: CI: der Schlüssel für die Mitarbeiterbindung an die Unternehmensgemeinschaft, Conplore Magazine (2014)
[5] Vgl.: Sascha Rauschenberger: CI für HR: Marketing für das Recruiting, Conplore Magazine (2014)
[6] Vgl.: Sascha Rauschenberger: Future Work und Megatrends – Herausforderungen und Lösungsansätze für die Arbeitswelt der Zukunft: Ein Kompendium zum demographischen Wandel; Thema 1.2 Konfliktpotentiale in der Future Work S. 18-53, Windsor-Verlag (2014)
Bildquelle: Yusuf Simsek „Der Apfel der Erkenntnis“ simsek.ch
Themen: Rheinbahn, Busfahrer