7. Bayreuther Ökonomiekongress
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- Die 7 Thesen glücklichen und erfolgreichen Führens
- Learning from Silicon Valley?! – Warum schauen alle nach Kalifornien und was können wir von US Entrepreneurs lernen?
- Kaufen und gekauft werden – M&A als Instrument der Zukunftssicherung
- Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Generation Y – grenzenlose Freiheit oder Fußfessel?
- Initiative wagen – Scheitern lernen
- Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich!: Die wahre Macht der Datensammler
Die 7 Thesen glücklichen und erfolgreichen Führens
Katja Hofem, Geschäftsführerin der ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH, eröffnet mit ihren sieben Thesen glücklichen und erfolgreichen Führens den Veranstaltungsnachmittag.
“Sei authentisch, sei Du selbst.”
“Sei ein Vorbild und Motivator.”
Die ersten zwei Ratschläge Hofems beinhalten, dass Selbstreflektion und Glaubwürdigkeit erforderlich seien, um erfolgreich zu führen – eine authentische Führung als Entwicklungsprozess der eigenen Persönlichkeit. Authentizität sei die Grundlage für Vertrauen und damit Führungsanspruch. Der hierarchisch-autoritäre Führungsstil alter Bauart sei auf dem Rückzug, so Katja Hofems Einschätzung.
Die 7 Thesen glücklichen und erfolgreichen Führens. Referentin: Katja Hofem. Bild: Conplore
“Den Hund nicht dauerhaft zwingen, auf zwei Beinen zu stehen…“
Führung habe im Wesentlichen mit Kommunikation zu tun – die Tür müsse offen sein. Sie sei ein Fan von Open Space Offices, so Katja Hofem, da diese Kommunikation ermöglichten. Früher sei “Nachfragen eine Sünde” gewesen, dabei seien Coachings besser als unerklärte Ansagen. Auch solle es aber kein Coaching um jeden Preis geben, wenn bei einem Mitarbeiter eine Grenze erreicht ist. Inselbegabungen sollten wo möglich an geeigneter Stelle gefördert werden, ansonsten müsse man “auch mal getrennte Wege gehen”.
“Ein depressiver Programmplaner hilft mir gerade nicht viel.”
“Der will to win muss geweckt werden!”
Es sei wichtig, Mitarbeiter in ihren persönlichen Stärken zu fördern, aber auch Schwächen zu akzeptieren. Finanzielle und erfolgsbasierte Ziele weckten zudem die Gewinnlust bei den Mitarbeitern. Gerade in Krisen sei die Motivation wichtig.
“ProSiebenSat1 war ein Boys’ Club, als ich dazustieß.”
Fremdsprachenkompetenz sei in Konzernen ein wichtiger Erfolgsfaktor – und damit seien nicht nur Sprachen wie Englisch und Co gemeint, sondern insbesondere auch Dinge wie der “Male Code”, den “Boys’ Club” zu verstehen, könne entscheidend sein. Oftmals finde das eigentliche Meeting im kurzen persönlichen Smalltalk vor dem Meeting statt, ggf. verpackt in Fußball-Codierung. Man müsse sich mit der Unternehmenskultur und der eigenen Kultur auseinandersetzen und müsse auch Politiker werden, konzerninterne politische Spielchen kennen. Hilfreich sei es z.B. “die Fühler auszustrecken”, mit Mitarbeitern verschiedener Abteilungen des Unternehmens essen zu gehen. Konflikte solle man angstfrei angehen und Themen offen ansprechen, aber nicht immer um jeden Preis bis zum Ende auskämpfen. Man müsse genau zuhören, so Katja Hofem.
“Visionen brauchen keinen Arzt.”
… und nicht, wer Visionen hat, brauche einen Arzt. Hofem rate, sich ruhig einmal höhere – gern auch utopische Ziele zu setzen:
“The big hairy audacious goal. – Es darf auch gern mal ein bisschen mehr sein.”
Die Latte höher zu setzen, könne beflügeln. Nur wer wisse, wohin er laufe, könne sein Ziel auch erreichen. Manchmal würden auch Feindbilder helfen, im Sinne von “Wir gegen den Rest”.
“Teamgefühl hilft. – Das kleine gallische Dorf.”
Ohne Team gehe nichts. Teamgefühl helfe. Teamarbeit bedeute aber keine Anarchie – Delegieren sei wichtig und unerlässlich – das schaffte Raum und mache alle glücklich. Jeder ist ein Teil des Ganzen. Sie hole Meinungen ein, so Hofem, jeder müsse aber wissen, dass sie die Entscheidung treffe. Entscheidungen müsse man nachvollziehbar treffen. Wenn Entscheidungen verstanden werden, dann gingen Mitarbeiter auch mit. Man müsse dem einzelnen Mitarbeiter das Gefühl geben, dass er Einfluss auf die Entscheidungen habe.
“Kronprinzen und Kronprinzessinnen”
Man dürfe keine Furcht haben, gute Leute zu fördern, die den Chef auch mal ersetzen können im Notfall. Eine klare Nachfolgeregelung, ein klarer Plan sei wichtig.
“Walk the extra mile.”
Es komme nicht auf die Uhrzeit an, wenn man den Willen hat, etwas zu erreichen, so Katja Hofem. Es dürfe immer ein bisschen mehr sein, um den Führungsanspruch zu unterstreichen. Man müsse schon bereit sein, sehr viel zu arbeiten.
“Ich selbst habe sehr oft Kaffee gekocht. Kaffee kochen ist nicht so schlimm.”
Learning from Sillicon Valley?! Warum schauen alle nach Kalifornien und was können wir von US Entrepreneurs lernen?
Lars Lehne, Country Director Agency bei Google Deutschland, eröffnet seinen Vortrag indem er lächelnd verkündet:
“Alle Klischées, die Sie über Google so kennen, über das Arbeiten bei Google, stimmen.”
Learning from Sillicon Valley?! Warum schauen alle nach Kalifornien und was können wir von US Entrepreneurs lernen? Referent: Lars Lehne. Bild: Conplore
Lehne zitiert die Grundidee hinter Google:
“Organize the world’s information and make it universally accessible and useful.”
Seine Kinder lebten ihm die Zukunft vor, so Lehne, und gibt ein Beispiel dieser Herangehensweise – sinngemäß: Warum Text in die Suchzeile eingeben, wenn man (noch) nicht schreiben kann? Stattdessen werde mit dem Bildschirm gesprochen, als sei das Vorhandensein von Sprachsteuerung vollkommen selbstverständlich. Ob sie nun drin ist oder nicht.
Lehne zeigt Google‘s ersten Werbespot, der typische Suchbegriffeingaben in die Suchzeile des Suchmaschinengiganten zeigt. Alle Suchanfragen haben dabei etwas mit dem Alltagsleben der Menschen zu tun und erzählen so gewissermaßen die Geschichte ihres Lebens.
“Das Smartphone ist Ihr Schweizer Taschenmesser – die Fernbedienung für Ihr Leben!”
Wie nahezu alle erfolgreichen Silicon Valley Startups sei auch Google in einer Garage gestartet. Heute gingen bei Google jedes Jahr über drei Millionen Initiativbewerbungen ein. Laut Fortune 100 sei man seit sechs Jahren Top-1-Arbeitgeber.
beliefs ? behavior ? actions ? outcome
Klassische Unternehmen fokussierten sich auf den Prozess: Action ? Outcome. Das funktioniere, sei aber “unsexy”, so Lehne. Extrem erfolgreiche Menschen wie Steve Jobs wählten einen anderen Ansatz. Der Glaube (belief) sei dabei die Basis für eine Vision, die man verkaufe. Beliefs ? behavior ? actions ? outcome. Lehne erläutert zehn Leitideen, die aus dem Englischen übersetzt etwa wie folgt lauten:
1. Fokussiere Dich auf den Nutzer und alles andere wird folgen.
2. Es ist am besten, EINE Sache richtig, richtig gut zu machen.
3. Schnell ist besser als langsam.
4. Demokratie im Netz funktioniert.
5. Man muss nicht am Schreibtisch sitzen, um eine Antwort zu suchen (oder zu arbeiten).
6. Du kannst Geld machen, ohne Böses anzustellen.
7. Neugierde: Es gibt immer ein Mehr an Information da draußen.
8. Die Nachfrage nach Informationen ist grenzübergreifend, global.
9. Du kannst auch ohne einen Anzug seriös sein.
10. Großartig ist nicht gut genug.
“Wenn ich ein Produkt kreiere, das jeder Mensch zweimal am Tag nutzt, dann hab ich‘s geschafft.”
… zitiert Lehne den “Toothbrush-Test”. Man solle sich lieber fokussieren, statt mit zu vielen Projekten zu jonglieren. Weil man schnell sein müsse, dürfe man nicht den Anspruch haben, perfekt zu sein. Statt aufwendigem “Prototype” sei ggf. ein “Pretotype” (pretend to have a product) der bessere Ansatz, z.B. um schneller Geld für eine Idee einzusammeln, als andere.
Learning from Sillicon Valley?! Warum schauen alle nach Kalifornien und was können wir von US Entrepreneurs lernen? Referent: Lars Lehne. Moderatorin: Rommy Arndt. Bild: Conplore
“Ein gutes Business-Modell hat 5-8 Jahre Halbwertzeit.”
Fokussieren solle man sich auf Ideen, die die Welt verbesserten. In China sei man zwar “de facto ‘enteiert’ “, in anderen Ländern könne man aber die Demokratie durch das Internet aktiv fördern, beispielsweise mit dem Tool “Speak to Tweet”, das man im Rahmen des “Arabischen Frühlings”, als das Internet abgestellt wurde, quasi über Nacht als partiellen funktionalen Workaround entwickelt habe. Dass im Netz demokratisch abgestimmt werde, spüre auch sein Unternehmen. Wenn andere Suchmaschinen besser seien, ginge man dahin.
“Wir sind nicht mehr die Produktsuchmaschine Nr. 1 – da gehen Sie zu Amazon.”
Der Wettbewerb lauere überall, weshalb man laufend verbessere. Nichts sei für die Ewigkeit und großartig sei einfach nicht gut genug. Man dürfe nie zufrieden sein mit dem Status Quo, als Beispiel führt Lehne den Niedergang der Firma Kodak an. Veränderung sei daher auch bei Google der Alltag – dies zeige schon das fast täglich aktualisierte Logo über der Suchzeile.
“Team spirit extends to ideas. (…) Learning is a process for innovation.”
Die beiden Google-Gründer besuchten eine Montessouri-Schule, berichtet Lehne, und benennt prägende Faktoren wie “independence” und “freedom within limits”. Google-Büros sähen aus wie Kindergärten. Das diene dazu, ein Klima zu schaffen, in dem man, wie es gerade auch die Kinder täten, Sachen immer wieder neu hinterfrage. Firmengründer Larry Page betone, es sei wichtig, dass eine Firma wie eine Familie für die Mitarbeiter sei. Statussymbole wie Anzüge schalte man bewusst aus.
“Wir haben bei Google überhaupt keine Einzelbüros – außer vielleicht Eric Schmidt… der hat eine Boeing.”
Die Firmengründer setzten sich jeden Donnerstag eine Stunde in die große Kantine und beantworteten die Fragen der Mitarbeiter. Die Kalender – auch die der Führungskräfte – seien für jeden einsehbar.
“Larry Page (…) der hört nicht auf.”
Hinzu halte man Google‘s Hierarchie so flach wie möglich, schöpfe aus dem Teamspirit Ideen, sehe Lernen als einen Innovationsprozess und sammle laufend Feedback von den “Googlern”.
“Open by default. Der Google-Geist. Wir haben eine extrem hohe Fehlertoleranz.”
Fehler gehörten zum Lernen. Man betrachte alles, was man in den Markt gebe, eigentlich immer erst als “Beta-Version”. Man müsse Fehler machen, sonst könne man nicht lernen und innovieren. Lehne‘s Fazit: “Keep learning.”
Kaufen und gekauft werden – M&A als Instrument der Zukunftssicherung
Bernd Diepenseifen, Partner bei der KPMG AG, eröffnet als Moderator des M&A-Forums das Thema. Das Gesamttransaktionsvolumen habe im vergangenen Jahr bei rund 900 Mrd. Euro gelegen, was einer 40% Steigerung gegenüber dem Vorjahr entspreche. Er hoffe, dass damit wieder ein normales Niveau im Markt für Unternehmenstransaktionen nach der vergangenen Krise erreicht sei. Prof. Dr. Reinhard Meckl sieht dagegen eher das Erreichen “eines Peaks”.
M&A als Instrument der Zukunftssicherung. V.l.n.R.: Moderator Bernd Diepenseifen. Referenten: Renate Neumann-Schäfer, Günter Murmann, Torsten Grede, Ulrich-Nicolaus Kranz, Reinhard Meckl. Bild: Conplore
Diskutiert werden Erfahrungen, sowie Vor- und Nachteile mit und von Mergers and Acquisitions, der Finanzierungsoption mittels Private Equity-Kapital mit eingeplantem Exit (Weiterverkauf) und “Buy and Build-Strategie”, sowie das Modell von Joint Ventures statt Fusionen.
Zunächst berichtet Dr. Renate Neumann-Schäfer, Geschäftsführerin der Putzmeister Holding GmbH, wie und warum der Hidden Champion durch die chinesische Sany-Gruppe übernommen wurde. Die Immobilienkrise habe zu Finanzproblemen geführt. 2010-2011 habe man eine Restrukturierung durchgeführt und die strategische Entscheidung getroffen, sich in einen “sicheren Hafen”, den Sany-Konzern, einzugliedern. Die Fusion sei ungewöhnlich schnell binnen 3-4 Wochen und ohne Due Diligence erfolgt. Normalerweise dauere eine Fusion eher 4-6 Monate.
Um CEO und CFO nicht aus der persönlichen Haftung für ihre Angaben zum Unternehmenswert zu entlassen, sei vereinbart worden, dass sie in ihrer Position im Unternehmen bleiben. Der Enterprise-Barwert sei intern realistisch berechnet worden. Der schnelle Verkauf sei durchaus ein Schock für die Mitarbeiter gewesen – schon damit beginnend, dass der Eigentümer “seinen Hidden Champion” überhaupt verkauft habe. Die lautstärkeren Reaktionen habe es aber bei den asiatischen Mitarbeitern gegeben. Putzmeister werde weiterhin als selbstständige Marke mit selbstständiger Finanzierung geführt.
Günter Murmann, der zunächst beim 1953 in den USA gegründeten und 1964 nach Bayreuth expandierten Elektrospezialisten Cherry in Verantwortung stand und heute Vorsitzender der Geschäftsführung bei der Dr. Schneider Unternehmensgruppe ist, berichtet, dass Cherry von einem großem deutschen Automobilzulieferkonzern (ZF) übernommen wurde. Der beste Verkaufszeitpunkt für ein Unternehmen sei, wenn sich jemand dafür interessiere. Man habe den Cherry-Verkauf damals lange geheim gehalten und es sei eine kartellrechtliche Zustimmung erforderlich gewesen. Der Disclosure erfolgte im Jahr 2008. ZF hatte Cherry und TRW Automotive gekauft, um Elektrokompetenz aufzubauen. Die Strategie der Dr. Schneider Gruppe, einem Automobilzulieferer für Innenausstattung, sehe hingegen ein organisches Wachstum von innen ohne Zukäufe vor.
Torsten Grede, Sprecher des Vorstands der Deutschen Beteiligungs AG, eigenen Angaben nach einem der aktivsten Private Equity Häuser Deutschlands, erläutert dem Publikum, dass es im Zuge einer Nachfolgeregelung durchaus Sinn machen könne, hier ein Private Equity-Haus anzusprechen. Im Rahmen einer Buy and Build Strategie verfolge man das Ziel, die Kultur und die Attraktivität des Unternehmens zu erhalten, das Unternehmen aber noch besser zu machen. Man prüfe im ersten Schritt zunächst, wo die Weiterentwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens liegen, dann erfolge im zweiten Schritt die Strategieformulierung durch das Management. Im abschließendem dritten Schritt verknüpfe man mittels Gesellschafter und Beirat die Unternehmen mit dem Kapitalgeber. Es gebe zwei Strategieklassiker, um das organische Wachstum zu steigern: Internationalisierung, den Ausbau der Produktpalette sowie Unternehmensakquisition.
Bernd Diepenseifen fragt nach: Private Equity-Gesellschaften strebten in der Regel einen Exit an und den Weiterverkauf der Beteiligungen – wie stelle man sicher, dass das Management trotzdem seine Ziele erfülle? Torsten Grede antwortet, dass man dazu das Management am Kapital beteilige und es auf diese Weise mit in die Haftung nehme. Hinzu sei eine gute Vertrauensbasis entscheidend.
“Chinesen genießen den Ruf, einen besonders hohen Kaufpreis zu zahlen.” (Bernd Diepenseifen)
“Chinesen lieben ‘deutsch’.” (Ulrich-Nicolaus Kranz)
Ulrich-Nicolaus Kranz, Vorstandsmitglied der Kiekert AG, berichtet, dass sein Unternehmen kurz vor der Insolvenz gestanden und einen Private Equity Kapitalgeber gehabt habe. Hedgefonds hätten das Unternehmen dann aufgebaut – in der Not habe man Kredite in Eigenkapital umgewandelt und dann eine klassische Restrukturierung durchgeführt. Hedgefonds hätten einen zeitlich begrenzten Anlagehorizont und würden bekanntermaßen irgendwann geschlossen werden. Ungewöhnlicherweise habe der Verkauf der Anteile durch das Management organisiert werden sollen. Das Management habe einen passenden chinesischen Investor gesucht, auch um organisches Wachstum zu steigern. Dass Chinesen immer bereit seien, einen besonders hohen Kaufpreis zu zahlen, stimme aber nicht immer. Chinesen würden zudem eher “in den Rückspiegel schauen”, also mehr auf die Bilanz und den Substanzwert achten und weniger die zukunftsorientierte DCF-Methode (Discounted Cash Flow Methode = abgezinste Barwerte) nutzen. Chinesen müssten eine Markteintrittsprämie zahlen.
“…ein extrem zyklischer Markt.” (Reinhard Meckl)
“Money for nothing.” (Reinhard Meckl)
Prof. Meckl, der auch in Peking lehrt und im Vorstand des Bundesverbands M&A ist, erläutert Zyklen wie New Economy und die resultierende Blase. Er sehe, dass sich die letzte Welle langsam ihrem Höhepunkt nähere. Für die Mega-Deal-Ebene mit Transaktionsvolumina von über einer Milliarde Euro stünden Beispiele wie der Kauf von TRW Automotive durch ZF oder der Kauf der Merck-Sparte durch Bayer. Zudem seien M&As in der ganzen Breite zu beobachten – also viele mittlere und kleine Deals. In UK seien M&A bereits seit langem ein anerkanntes Instrument der Unternehmensführung, im kontinentalen EU-Bereich fänden sie langsam auch Anerkennung. Bernd Diepenseifen sieht heute wieder mehr Zutrauen als nach dem Schock in 2009. Er wünsche sich, dass jetzt wieder Normalität herrsche… nicht schon der Höhepunkt.
Audimax, Universität Bayreuth. Teilnehmer und Studierende des Bayreuther Ökonomiekongress 2015. Bild: Conplore
Professionelles M&A-Management
Reinhard Meckl erklärt, dass der Preis eines Unternehmens in der Regel nicht dem Unternehmenswert entspreche. Warren Buffet habe einst passend festgehalten: “Der Preis ist das, was Du zahlst – der Wert, was Du kriegst.” State-of-the-Art sei die DCF-Methode, die man für verschiedene Szenarien durchrechne. Dabei entspreche der maximal errechnete Barwert dem maximalen Preis. Risikobewertung sei ein zentraler Einflussfaktor. Man solle durchsetzen, dass man die Risiken nicht zahlen müsse. Auf die oben erwähnte Kaufpreisprämie für Chinesen bei Unternehmenskauf im EU-Land erwidert Meckl: “Prämie? Warum, wieso, weshalb?” Diese Faktoren seien bei der DCF-Methode doch bereits mit eingerechnet.
Bernd Diepenseifen leitet zum Thema Joint Ventures als Alternative zu M&A über. Günter Murmann berichtet von Cherry. Dort habe man einst ein Joint Venture mit 50% zu 50% mit Japanern installiert, das auch für die Eigentümer ein sehr guter Deal gewesen sei. Die Schneider Gruppe habe ein Joint Venture in Indien gehabt. Schneiders Strategie organischen Wachstums schließe solche eigentlich aus. In China seien Joint Ventures aus Knowhow-Gründen nie ein Thema gewesen. Joint Ventures mit Kartellproblemen schreckten ab.
Ulrich-Nicolaus Kranz erläutert, die Kiekert AG bevorzuge mit einem “Green Field Ansatz” den Alleingang gegenüber Joint Ventures. Des Weiteren präferiere man auch M&As. Wenn man ein Joint Venture eingehe, solle man sich die Mehrheiten sichern und absichern.
“Joint Ventures sind sehr instabile Konstrukte. (…) Sobald die strategischen Interessen nicht mehr zusammenpassen, ist das der Tod des Joint Ventures.” (Reinhard Meckl)
Sein Rat laute daher, gleich bei den Verträgen die Exit-Optionen mit zu regeln. Er stehe Joint Ventures eher pessimistisch gegenüber, so Prof. Meckl. Bernd Diepenseifen und Torsten Grede diskutieren weitere Fragestellungen wie die steigende Debt-Equity-Ratio bei Fremdfinanzierungen von Private Equity-Kapitalanteilen, wobei Grede darauf hinweist, dass das Management die Finanzierungsstruktur des Unternehmens verantworte, sein Haus aber darauf achte, dass man die Unternehmen nicht überschulde.
“Eine Integration kann sehr viel Geld kosten.” (Renate Neumann-Schäfer)
Dr. Neumann-Schäfer erläutert, dass ggf. auch eine Kulturintegration erforderlich sei. Wenn es sich nur um ein finanzielles Engagement handele, sei diese natürlich viel leichter, als eine komplette Integration industrieller Kapazitäten. Auf die Nachfrage, ob Chinesen Freiräume ließen, wenn sie aufkauften, antwortet Schäfer, Chinesen würden Eigengründungen versus Übernahmen abwägen, um international weiter zu wachsen, dass Startups jedoch oft zu schwierig seien, wegen sprachlicher Barrieren. Chinesen würden “16 Ja-Gruppen”, aber kein “Nein” kennen. Diese Skala müsse man zu nutzen wissen.
Ulrich-Nicolaus Kranz ergänzt, Chinesen würden sehr hierarchisch denken. Ein offener Dialog sei schwierig. Kulturell sei ein starkes Vertrauensverhältnis entscheidend und kleine Gesprächsgruppen, Stichwort: “Gesicht wahren”.
“Mehr als 50 % der M&A-Transaktionen sind nicht erfolgreich.”
(Prof. Dr. Reinhard Meckl)
Bernd Diepenseifen fragt abschließend in die Runde, wie man denn den Erfolg eines M&A-Geschäfts messe? Prof. Meckl erläutert, über die Hälfte der Transaktionen seien nicht erfolgreich. Für Private Equity Unternehmen sei die Rechnung doch aufgrund des Exits recht einfach. Hier müsse man nur den Verkaufspreis vom Einkaufspreis substrahieren. Die Messung des Erfolgs mit Integrationen sei sehr schwierig. Man könne hier Indikatorenverbesserungen messen oder ggf. mit Alternativen zum M&A durchrechnen (Green Field-Markteintritt versus M&A).
Lesen Sie auch das Interview, das wir mit Thorsten Grede im Rahmen des Kongresses geführt haben.
Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Generation Y – grenzenlose Freiheit oder Fußfessel?
Als Moderator des Forums fungiert Stefan Sanktjohanser, Mitgründer und Managing Partner des Management Consulting-Hauses goetzpartners. Er skizziert eingangs in aller Kürze seine Vita: Studium des Maschinenbaus, TU München, Schwerpunkt Automatisierungstechnik, MBA in den USA, Generation X.
Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Generation Y. V.l.n.r.: Rosa Riera, Stefan Sanktjohanser, Joseph Kumar Gross. Bild: Conplore
Rosa Riera, Head of Employer Branding & Diversity bei der Siemens AG, bekennt:
“Siemens befindet sich in einer massiven Transformation (…) auch kulturellen Revolution.”
“Gen Y ist keine homogene Gruppe. Man muss regional differenzieren.”
… so Riera. Zentral sei die Suche nach Stabilität und “purpose”. Arbeitsumgebung und Arbeitskultur sei für die Generation Y extrem wichtig. Dr. Marco Vietor wirft ein, die Gen-Y-Diskussion sei ein deutsches Phänomen, resultierend aus Rollenveränderungen und dem Wunsch nach Abwechslung und Varianz.
Marco Vietor ist Mitgründer und Geschäftsführer bei audibene, einem Anbieter moderner Hörgeräte, der im vierten Jahr nach Gründung zu den fünf größten Hörgeräteakustikern Deutschlands zähle, ohne ein einziges Ladengeschäft zu betreiben. Man verbinde traditionelle Hörgeräteakustik mit der Onlinewelt. Kunden gewinne audibene hauptsächlich online. Das Kundenalter beginne bei etwa 61 Jahren, das der Mitarbeiter bewege sich zwischen 20 und 65.
“Gen Y lässt sich nicht klar abgrenzen und trennt zu stark.”
… formuliert Joseph Kumar Gross, Head of Group Market Management bei der Allianz SE. Was verbinde, sei die Suche nach einem werteorientierten System und Gestaltungsspielraum. Eigener Freiraum gehe jedoch auch zulasten der langfristigen Bindung an Unternehmen. Es wachse der Drang zum “Weiterziehen” nach zwei bis drei Jahren, um “zu wachsen”.
Mit dem Hinweis auf befristete Beschäftigungsmodelle wirft eine Zuhörerin ein, werde die Chance auf Bindung an Unternehmen oft von den Unternehmen selbst nicht gewährleistet. Rosa Riera stimmt zu, dies falle Unternehmen im heutigen Geschäftsumfeld oft schwer.
Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Generation Y. V.l.n.r.: Marco Vietor, Rosa Riera, Stefan Sanktjohanser, Joseph Kumar Gross. Bild: Conplore
“Wir vergeben nur unbefristete Arbeitsverträge.”
… lässt Marco Vietor wissen. Er empfiehlt, man solle “den Suchradar erweitern” und nicht nur traditionelle Arbeitgeber ansteuern. Ein Zuhörer verweist auf das gesellschaftliche Dogma, man müsse nach zwei bis drei Jahren weiterziehen, um aufzusteigen. Rosa Riera hält entgegen, man solle dann weiterziehen, wenn man nichts neues mehr lernen könne:
“If I am the smartest person in the room, then it’s time to go.”
Es sei problematisch, die besten Absolventen zu finden, resümiert Joseph Gross. Es sei eine “riesige Herausforderung”. Mit souveränem Lächeln, aber selbstkritisch, formuliert er:
“Die Value Proposition der Allianz spricht nicht unbedingt junge Startup-Mitarbeiter an.”
Die Diskussion streift das Thema beruflicher Netzwerkplattformen. Rosa Riera resümiert, die Transparenz gehe in beide Richtungen. Mitarbeiter berichteten über die Unternehmen, und die Unternehmen suchten Mitarbeiter. Riera:
“Ein Drittel unserer Mitarbeiter ist auf LinkedIn.”
Joseph Gross kritisiert, LinkedIn und Co. Profile suggerierten Qualität und nutzten “Buzzwords”, oft sei das aber “Eigenwerbung ohne Substanz”.
Marco Vietor berichtet, manchmal fielen Recruiting-Entscheidungen innerhalb von 24 Stunden:
“Wir holen die Leute direkt von der Uni und geben sehr jungen Leuten sehr viel Verantwortung.”
“Recruiting ist bei uns Managementaufgabe.”
… so Vietor weiter. Die Manager seien dafür verantwortlich, dass in ihren Teams die richtigen Leute sind. Dies erfordere Netzwerken. Stefan Sanktjohanser:
“Wir schauen bei Bewerbern: ‘wie funktionieren die als Mensch?’ – jenseits von Formalitäten wie Lebenslauf und Co.”
Joseph Kumar Gross berichtet, bei der Allianz betrage das Durchschnittsalter 42,3 Jahre. Er resümiert:
“Wir sehen Gen X, Gen Y nicht als Generationskonflikt oder Integrationsproblem, aber wir müssen uns digitalisieren. Diese neue Welt ist eine riesige Chance für uns.”
Rosa Riera skizziert einen Kulturwandel, in den man die Mitarbeiter mitnehmen müsse, ein Beispiel sei die Umwandlung von Einzelbüros zu offenen Büros. Marco Vietor betont nochmals:
“Wir übergeben Verantwortung, trauen Leuten erstmal etwas zu, bevor wir in Risiken denken.”
Klar müsse man manchmal auch Scherben aufkehren, aber es habe sich in der Praxis bewährt und fördere dynamische Leute, die gestalten wollen. Joseph Gross signalisiert Zustimmung:
“Failure is something good as long as you learn from it.”
Stefan Sanktjohanser bringt die “Work-Life-Balance” ins Spiel, die “ein großes Thema” sei. Gross erklärt, “Sabbaticals” und andere “Tools” der Work-Life-Balance seien “absolute policy” und erhöhten Motivation und Loyalität. Rosa Riera wirft ein:
“Flexibilität [i.S.v. home office, Sabbaticals, etc.] ist besser als Teilzeit. Teilzeit ist gefährlich für die Karriere.”
Marco Vietor signalisiert Zustimmung, Vaterschaftsurlaub und Co erhöhten Motivation enorm und erklärt, sein Unternehmen sei der einzige deutsche Hörgeräteakustiker, bei dem man zuhause arbeiten könne. Das sei eine USP. Riera gibt zu bedenken, home office könne auch zum Risiko werden, wenn es effektiv mit “verlängertes Wochenende” gleichgesetzt werde. Wenn es jedoch sinnvoll organisiert und passend in die Unternehmenskultur integriert ist, sei es aber eine Chance.
Vietor analysiert, für die heutigen Absolventen habe sich gar nicht viel geändert, sie nutzten lediglich die Technologien ganz natürlich. Die etablierten Unternehmen aber, müssten sich anpassen.
Am Ende steht das Resümee Stefan Sanktjohansers:
“Digitalisierung ist Freiheit, nur man muss mit der Freiheit umgehen können.”
Referenten und Teilnehmer beim Austausch. Bild: Conplore
Lesen Sie auch das Interview, das wir mit Joseph Kumar Gross im Rahmen des Kongresses geführt haben.
Lesen Sie auch das Interview, das wir mit Marco Vietor im Rahmen des Kongresses geführt haben.
Initiative wagen – Scheitern lernen
Katja Kraus trifft mit etwas Verspätung ein – eine Aufsichtsratssitzung von adidas habe unerwartet mehr Zeit in Anspruch genommen. Moderatorin Rommy Arndt stellt ihre Interviewpartnerin als eine Person vor, die bereits mehrfach klassische Männerdomänen als erste Frau erschlossen habe. Zunächst als aktive Profi-Fußballerin, erste Pressesprecherin bei Eintracht Frankfurt und erste Frau im Vorstand des HSV, heute Geschäftsführerin bei Jung von Matt/sports, Autorin und seit kurzem Aufsichtsratsmitglied bei adidas. Es beginnt ein offener Dialog über Frauen in Führungspositionen, Erfolg und Scheitern. Kraus plädiert in dessen Verlauf stark für die Frauenquote und rät Frauen, Frau zu bleiben und in ihren Bereichen ihre Stärken auszuspielen.
“Man hat mir auf jeden Fall gesagt, dass man mich nicht haben wollte…”
“Keine Angriffsfläche bieten. Fehler vermeiden.”
“In der Exponiertheit liegt auch eine Chance.”
Im Vergleich zu früher sei die Fußballwelt nun viel offener für Frauen – mit einer Art Glamourfaktor, neuen Stadien und Frauen-WM. Ein Fußballunternehmen sei heute ein mittelständisches Unternehmen im Wettbewerb mit der Unterhaltungsindustrie.
Initiative wagen – Scheitern lernen. Interview. Links: Moderatorin Rommy Arndt. Rechts: Katja Kraus. Bild: Conplore
“Die Amplituden werden höher sein.”
“Die Führungszyklen werden kürzer (…) die Öffentlichkeit verlangt nach neuen Gesichtern.”
“Ich habe Spaß an der Überwindung meiner eigenen Angst.”
Ihrer Erfahrung nach habe man mit höherer Position mehr Möglichkeiten, aber auch mehr Kritik. Sie selbst habe einst ihren Traumjob verloren und dieses Scheitern zunächst in einem Buch verarbeitet. Tatsächlich würden wir täglich und permanent mit vielen kleinen Dingen scheitern.
“Scheitern ist ein wunderbarer Zeitpunkt für Reflektion.”
“Männer machen alles anders als Frauen und das ist auch gut.”
Frauen erzählten immer zuerst von ihren Fehlern und würden auch schneller zurücktreten als Männer. Sie setzten sich im Rahmen einer Selbstreflektion oft viel länger mit Dingen auseinander und würden oft zu viel durchdenken. Allerdings sei Wirkungsreflektion für Führungskräfte auch extrem wichtig, so Katja Kraus.
Nachdem Ex-Fußballnationaltorhüter Jens Lehmann seinen Vortrag zum Thema “Schnelldenken unter Hochdruck” kurzfristig krankheitsbedingt absagte, springt IT-Berater und Autor Markus Morgenroth in die Bresche und zieht seinen Vortrag, der für den Folgetag geplant war, spontan vor.
Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich!: Die wahre Macht der Datensammler
Markus Morgenroth berichtet eingangs, er habe acht Jahre für US-Unternehmen in der Datenauswertung für Gerichtsprozesse gearbeitet, ehe er “die Seiten wechselte” und heute über Datensammler aufkläre.
“Auch kleine und unbedeutende Daten lassen bereits Einblicke in die Persönlichkeit der Eigentümer zu.”
Dass im Internet und mittels gängiger Kommunikationstools wie Chats und Social Media Daten in unvorstellbarem Umfang gesammelt und verarbeitet würden, sei den meisten ja bekannt, so Morgenroth. Er rückt den Fokus daher zunächst auf Datensammler und Datenhändler, die einem nicht sofort bekannt seien. Zu seinen Beispielen zählen datenübertragende, mit einer App-verbundene Zahnbürsten, Bettenauflagen, Aufwecklampen, Babystrümpfe, Kontaktlinsen, Kopfhörer, Fitnessuhren, Gesundheitsarmbänder, Apple Watch, Wildbeobachtungskameras im Wald mit Bewegungsmeldern, Spiele, Smartphones, bis hin zu Mülleimern mit Messsensoren und mit Kameras ausgestattete Schaufensterpuppen. All diese Daten landeten bei Datenhändlern und könnten verkauft und missbraucht werden.
Die wahre Macht der Datensammler. Rommy Arndt und Markus Morgenroth. Bild: Conplore
“Die Kreditwürdigkeit ist oft viel besser via Facebook als über die Schufa auswertbar.”
Aus den Daten errechne man üblicherweise Wahrscheinlichkeiten z.B. für Krankheitsprognosen, Gesundheitszustand, Kreditwürdigkeit, Bildungsniveau, Beziehungsstatus – bzw. im Arbeitsumfeld etwa Stresslevel, Entscheidungsverhalten, Bedrohung durch Arbeitsplatzverlust, u.v.m. Man kombinierte Informationen aus verschiedenen Datenquellen zu einem persönlichen Profil. Diese Profildaten verkaufe man dann beispielsweise an Krankenversicherungen oder Arbeitgeber, die bei Negativeinträgen u.U. dann eine Versicherung, einen Kredit oder einen Job verwehrten, so Morgenroth.
Er benennt konkrete Beispiele, die in den USA bereits gängige Praxis seien, darunter den LKW-Fahrer, der einen Unfall erleide und dessen Versicherung weniger zahle, weil sie über dessen Schlafdaten verfüge, oder Babystrümpfe mit Vitalfunktionsüberwachung, deren Daten zur Krankheitsprognose herangezogen werden könnten, Gesundheitsarmbänder, die zur totalen Gesundheitsüberwachung führten, die Schaufensterpuppe mit Kamera im Auge, Mikrofon und Gesichtserkennungsprozess – welcher Kunde komme denn regelmäßig? Gezielte Werbung aufs Smartphone gleich dazu…
Nur die positiven Aspekte des Datensammelns werden kommuniziert
Problematisch sei vor allem, dass den Konsumenten ausschließlich die positiven Aspekte kommuniziert würden – und insbesondere, dass bei Analysen auf Basis der Daten häufig mit Wahrscheinlichkeiten gerechnet werde, was viele falsche Profile erzeuge. Daten würden falsch gedeutet, falsch in Relation gesetzt – mit entsprechenden Folgen und Fehlbeurteilungen der Konsumenten bei Versicherungen, Schufa und Co. Morgenroth zitiert das Beispiel eines österreichischen Politikers, der mit der Geliebten im Wald von Wildbeobachtungskameras mit Bewegungsmelder gefilmt worden sei. Ein Jäger habe diese Aufnahmen dann veröffentlicht.
Datenhändler stünden i.d.R. nicht isoliert im Markt. Sie erwerben Daten z.B. von Supermärkten, Versandhandel, Facebook, Ebay u.a. und verkaufen diese an Endkunden wie Versicherungen oder Banken, oder auch an andere Datenhändler. Dadurch entstehe ein riesiges, unüberschaubares Netz, in dem die Daten geteilt und verbreitet werden. Die Werbung großer Datenhändler wie ACXIOM verrate, welche und wie detailliert personalisierte Daten erhoben werden.
Seit Beginn der Zeitrechnung bis zum Beginn der modernen Informationstechnik habe man ca. 5 Mrd. Gigabyte an Daten produziert. 2013 wurde dasselbe Datenvolumen bereits binnen einer Minute erzeugt. Im Bereich Big Data sieht Markus Morgenroth diverse Probleme, von der oben zitierten falschen Deutung von Daten, über das Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten, bis hin zu “Daten auf Wanderschaft”, der Weiterleitung und Auswertung in Länder mit ggf. niedrigeren Datenschutzbestimmungen aus Kostengründen, was die Gefahr der unsachgemäßen Nutzung und Monetarisierung nochmals steigere – und zunehmendem Datendiebstahl. Der Zahlungsanbieter PayPal lasse sich in seinen AGB die Freigabe zur Weitergabe der persönlichen Daten an über 300 Firmen geben.
“Ein normaler Internetnutzer bräuchte mehr als sechs Wochen, um alle Datenschutzerklärungen zu lesen, denen er zustimmt.”
Wir erzeugen Daten in Suchmaschinen, Browser, Email, Chats, Sozialen Netzwerken, Spielen – das sei ein “intelligentes Assessmentcenter”. Jeder Klick werde ausgewertet. Charaktereigenschaften der Nutzer seien ablesbar. Bildungsniveau, Gesundheitszustand, Freunde, Partner, Beziehungsstatus, Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Kreditwürdigkeit, religiöse und politische Einstellung, sexuelle Orientierung, Konsum von Suchtmitteln, Stresslevel, Zuverlässigkeit… Es gebe sogar Geräte, die Mimik und Gestik messen und jedes gesprochene Wort analysieren.
Generell sei beim Großteil der Smartphone-Apps die Datensicherheit kritisch bis sehr kritisch. Erneut verweist Morgenroth auf die besondere Bedenklichkeit von Gesundheits-Apps, deren personenbezogene Daten direkt an Drittfirmen gingen. Auch gelangten Gesundheitsdaten, oft erhoben von Ärzten und weiterverkauft an Datensammler und -händler wie IMS Health, schlussendlich ggf. an die Versicherungswirtschaft, Arbeitgeber oder die Pharmaindustrie. IMS Health habe daher bereits den Negativpreis “Big Brother Award” gewonnen. Die Generali-Versicherung werbe aktiv damit, dass, wer per App freiwillig persönliche Dauerüberwachungsdaten melde, günstigere Tarife bekomme.
“Immer mehr psychotherapeutische Patienten kommen aus Angst vor Datenbankeinträgen schon nicht mehr zur Behandlung.”
“Wir geben Daten nur anonymisiert weiter”? Auch scheinbar anonymisierte Weitergabe von Daten sei mit dem Problem verbunden, dass man mit nur wenigen Daten in Kombination Personen schnell genau eingrenzen könne. Strafen und Bußgelder bei Datenschutzverstößen seien oft “lächerlich gering” – Bußgelder würden von den Unternehmen oft sogar mit einkalkuliert. Öffentliche Datenschutzstellen seien “hoffnungslos unterbesetzt”, geschweige denn hätten Zeit für ein proaktives Vorgehen gegen Datenschutzverstöße, erklärt Morgenroth. Zudem brächten wirklich anonymisierte Daten kein Geld mehr ein, daher gebe es oft keine wirkliche Anonymisierung, oder nur eine solche, die leicht wieder rückgängig gemacht werden könne.
Morgenroths Zukunftsprognose:
Selbstvermessung, das “quantified self”, werde enorm zunehmen. Gesichtserkennung werde allgegenwärtig. Das Handy und der Fernseher hörten immer zu, das Internet der Dinge werde allgegenwärtig sein. Die Politik sei gefordert, strengere Gesetze und härtere Strafen zu etablieren. Ethik müsse ein zentraler Ausbildungsinhalt für Informatiker werden. Es brauche klare Regeln für den Umgang mit Big Data. Datenschutz müsse “attraktiver werden”.
“Vor 25 Jahren kannte kaum jemand das Internet. Vor 16 Jahren gab es noch keine Suchmaschinen. Vor 9 Jahren gab es noch keine Smartphones. Nur eines ist sicher: auch in 25 Jahren werden unsere Daten noch gespeichert sein.”
… so Markus Morgenroth. Er schließt seinen Vortrag und somit den ersten Veranstaltungstag.
Bayreuther Ökonomiekongress 2015. Universität Bayreuth. Bild: Conplore
Der Abend des ersten Kongresstages klingt aus beim Networking Dinner im “Ökonomiekongress Palazzo”.
Weiterlesen:
Bericht Ökonomiekongress – Tag 1, Vormittag
Bericht Ökonomiekongress – Tag 2